Eine Arbeitsunfähigkeit ist nur dann verschuldet i.S. des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG), wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliert er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Bei einem alkoholabhängigen Arbeitnehmer fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem solchen Verschulden.
Diese Klarstellung traf das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Fall eines alkoholabhängigen Arbeitnehmers. Dieser wurde am 23. November 2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert. In der Folge war er für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Seine gesetzliche Krankenkasse zahlte an ihn für die Zeit vom 29. November bis zum 30. Dezember 2011 Krankengeld i.H.v. 1.303,36 EUR. In dieser Höhe macht die Krankenkasse nun Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht gegenüber dem Arbeitgeber geltend. Sie meint, ein Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitbeger habe bestanden. Es liege nämlich kein Verschulden des Arbeitnehmers für seinen Alkoholkonsum am 23. November 2011 vor. Der Arbeitgeber ist der Ansicht, ein Verschulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem Zehnten Senat des BAG keinen Erfolg. Bei einer Alkoholabhängigkeit handele es sich nach Ansicht der Richter um eine Krankheit. Werde ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, könne nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht habe vielmehr viele Gründe. Dabei würden sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gelte im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie. Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40 bis 50 Prozent je nach Studie und Art der Behandlung könne nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber könne deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht müsse dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft im Sinne des EFZG herbeigeführt hat. Lasse sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, gehe dies zulasten des Arbeitgebers.
Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten hat ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden „Suchtdruck“ ausgeschlossen. Mangels Verschulden war der Arbeitgeber daher zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Entsprechend konnte die Krankenkasse vom ihm den ausgelegten Betrag fordern (BAG, Urteil vom 18.3.2015, 10 AZR 99/14).
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl
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