Beim Bezug von Sozialleistungen muss eine hilfebedürftige Alleinerziehende dem Jobcenter im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten den Namen des ihr bekannten Kindesvaters nennen, damit mögliche Unterhaltsansprüche realisiert werden können. Dem steht weder das Persönlichkeitsrecht noch eine eingegangene Verpflichtung der alleinerziehenden Kindesmutter entgegen, den Namen des Vaters nicht zu nennen. So sieht es das Sozialgericht (SG) Gießen. |

Darum ging es
Streitig war die Höhe von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, insbesondere die Anrechnung von Unterhaltsleistungen. Die 1971 geborene alleinerziehende Klägerin steht beim beklagten Jobcenter im Leistungsbezug. Mit Bescheid versagte dieses die Leistungen ab August 2019 teilweise monatlich und legte der Berechnung hierbei einen Unterhaltsanspruch des 2007 geborenen Sohnes der Klägerin nach der Düsseldorfer Tabelle gegen den Kindesvater zugrunde. Ihr Widerspruch blieb erfolglos.

Klage war teilweise erfolgreich
Fiktive Unterhaltszahlungen sind auf den Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen, solange die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten durch das Nennen des Kindesvaters nicht nachkommt. Das Jobcenter habe, so das SG, zu Recht die Leistungen teilweise versagt. Darüber hinaus habe die Klägerin auch kein Recht, die Auskunft über den Namen des leiblichen Vaters ihres Sohnes zu verweigern. Es bestehe kein überragend schützenwertes Interesse der Klägerin an der Verweigerung der Vaterschaftsauskunft, das die hochrangigen Kindesinteressen, die Interessen des leiblichen Vaters sowie die gesetzlich ausdrücklich geschützten fiskalischen Interessen der nur behelfsmäßig zahlungspflichtigen staatlichen Gemeinschaft deutlich überwiegen würde.

Gleichwohl könne das Jobcenter, wie hier geschehen, nicht von der höchsten Stufe 10 der Düsseldorfer Tabelle (Nettoeinkommen 5.101 bis 5.500 Euro monatlich) bei der Berücksichtigung der Unterhaltszahlungen ausgehen. Abzustellen sei vielmehr auf den durchschnittlichen Nettoarbeitslohn eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers, sodass Stufe 2 der Düsseldorfer Tabelle (Nettoeinkommen zwischen 1.901 und 2.300 Euro monatlich) zugrunde zu legen sei. Statt des vom Jobcenter angerechneten fiktiven Unterhalts sei daher ein geringerer monatlicher Betrag anzurechnen.

Quelle: SG Gießen, Gerichtsbescheid vom 4.12.20, S 29 AS 700/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Weicht die im Mietvertrag ausgewiesene Fläche der Wohnung oder der Gewerbeimmobilie von den tatsächlichen Gegebenheiten ab, kommt es oft zu gerichtlichen Auseinandersetzungen der Mietvertragsparteien – bis hin zu den höchsten Gerichten. Meist wollen die Mieter dann, dass die Miete an die tatsächliche Fläche angepasst wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun ein Machtwort für zwei in der Praxis häufige Konstellationen gesprochen.

Unterschreitung der Fläche: Sachmangel
Der BGH hat zum einen klargestellt: Unterschreitet die vertraglich vereinbarte Fläche die dem Mieter vom Vermieter tatsächlich überlassene, stellt dies einen Sachmangel der Mietsache dar. Dies gilt auch dann, wenn die Flächendifferenz die Folge von nach Abschluss des Mietvertrags erfolgten Umbauarbeiten ist, durch die diese Fläche dem angrenzenden Mietobjekt zugeschlagen worden ist.

Mietminderung mit Darlegungspflicht
Zum anderen hat der BGH entschieden: Weist bei der Miete von Geschäftsräumen die Mietfläche eine Größe auf, die um weniger als 10 Prozent unter der im Mietvertrag vereinbarten Fläche zurückbleibt, ist eine Mietminderung zwar grundsätzlich möglich. Der Mieter muss in diesem Fall jedoch konkret darlegen und gegebenenfalls auch beweisen, dass durch die Flächenabweichung der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache beeinträchtigt wird.

Quelle: BGH, Urteil vom 25.11.2020, XII ZR 40/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Um eine Honorarforderung vor Gericht durchzusetzen oder Schadenersatzansprüche abzuwehren, müssen Architekten ihre Sachargumente in der ersten Instanz vollständig vortragen. Es gilt, von Anfang an sämtliche Argumente und Leistungen schlüssig darzulegen. Die Folge: Vergisst der Architekt etwas und verliert er den Prozess in der ersten Instanz, kann er den entsprechenden Sachvortrag in der nächsten Instanz so gut wie nie nachholen.

Diese Rechtslage hat das Oberlandesgericht (OLG) München bestätigt. Eine Berufung setzt im Regelfall nämlich voraus, dass sie Aussicht auf Erfolg hat, in der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt, die Fortbildung des Rechts gefördert wird und sie eine einheitliche Rechtsprechung unterstützt.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Quelle: OLG München, Beschluss vom 20.9.2019, 28 U 2914/17

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht

Der Urlaubsanspruch verfällt, wenn er über einen zu langen Zeitraum nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahrs nicht genommen wird. Ein unbegrenztes Sammeln von Urlaubsansprüchen ist nicht möglich. Zu diesem Schluss kommt das Verwaltungsgericht (VG) Trier.

Der Kläger, ein Beamter, war aufgrund eines Dienstunfalls seit Ende Januar 2017 dienstunfähig krank. 2019 wurde er vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Anschließend beantragte er, seinen Resturlaub finanziell abzugelten. Dies lehnte der beklagte Dienstherr für 2017 ab. Der Urlaubsanspruch sei verfallen. Der Kläger meinte hingegen, nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelte dies nur, wenn der Beklagte ihn auf die Folgen fehlender Urlaubsanträge bei dauerhafter Erkrankung hingewiesen hätte, was nicht geschehen sei. Das sah das VG jedoch anders.

Der Urlaubsanspruch des Klägers sei verfallen – und zwar auch nach der Rechtsprechung des EuGH –, wenn er über einen zu langen Zeitraum nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahrs nicht genommen werde. Es gäbe, so das VG, kein Recht auf unbegrenztes Sammeln von Urlaubsansprüchen. Werde eine gewisse zeitliche Grenze überschritten, habe der Jahresurlaub keine positive (Erholungs-)Wirkung mehr für den Beschäftigten.

Auch die mangelnde Aufklärung durch den Beklagten ändere nichts am Verfall des Urlaubs. Denn nicht diese habe den Kläger daran gehindert, Urlaub zu nehmen, sondern allein dessen Krankheit. Dieser Grundsatz gelte auch für die Zeit der Wiedereingliederungsmaßnahme.

Quelle: VG Trier, Urteil vom 8.12.2020, 7 K 2761/20.TR

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Die Nutzung eines zwischen Ohr und Schulter eingeklemmten Mobiltelefons während der Fahrt kann ein Bußgeld nach sich ziehen. Dies hat jetzt das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschieden.

Auf einem im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Messfoto war zu erkennen, dass die Fahrzeugführerin ein Mobiltelefon zwischen der Schulter und dem Kopf eingeklemmt hatte. Sie hatte im gerichtlichen Verfahren auch eingeräumt, dass sie dieses zum Telefonieren genutzt habe. Sie habe aber das Telefon bereits vor Fahrtantritt in der abgebildeten Haltung gehabt und war der Auffassung, dass es sich hierbei nicht um ein „Halten“ im Sinne der Verordnung handele, da dieses ein Halten in der Hand voraussetzte. Gleichwohl war sie vom Amtsgericht (AG) zu einem Bußgeld verurteilt worden, wogegen sie sich mit der Rechtsbeschwerde zur Wehr setzen wollte.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das OLG ausgeführt: Sprachlich setze das „Halten“ eines Gegenstands nicht notwendig die Benutzung der Hände voraus. Das Bußgeld stehe auch mit dem Zweck der Verordnung in Einklang: In dem Einklemmen des Mobiltelefons liege ein erhebliches Gefährdungspotenzial, weil das Risiko bestehe, dass das Mobiltelefon sich aus seiner „Halterung“ lösen könne und den Fahrer dann zu unwillkürlichen Reaktionen verleite, um zu verhindern, dass es – etwa – im Fußraum des Fahrzeugs unauffindbar wird. Bereits um diesem Risiko entgegenzuwirken, werde der Fahrer einen ansonsten dem Verkehrsgeschehen zuzuwendenden Teil seiner Aufmerksamkeit seinem Mobiltelefon schenken. Dieser Umstand unterscheide eine solche Nutzung eines Mobiltelefons auch von der mittels einer Freisprecheinrichtung, bei der sich der Fahrer um die Stabilität der Halterung regelmäßig keine Gedanken machen müsse.

Quelle: OLG Köln, Beschluss vom 4.12.2020, III-1 RBs 347/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Verkehrsrecht

Ein Teilzeitstudium ist nicht nach dem BAföG förderungsfähig. Denn es nimmt die Arbeitskraft des Studierenden nicht voll in Anspruch. Teilzeit-Studierende können aber Arbeitslosengeld II beanspruchen. Dies entschied jetzt das Landessozialgericht (LSG) Darmstadt.

Behinderter Teilzeit-Student beantragt Arbeitslosengeld II
Ein 1978 geborener und an Epilepsie erkrankter Mann studierte ab dem Jahr 2012 Theologie. Er brach dieses Studiums wieder ab und nahm im Jahr 2018 ein Studium der Geschichts- und Kulturwissenschaften auf. Die Universität gewährte dem Studenten aufgrund seiner chronischen Erkrankung ein Studium in Teilzeit.

Sein BAföG-Antrag wurde im Februar 2020 wegen des Fachrichtungswechsels abgelehnt. Daraufhin lehnte das Jobcenter den Antrag des Studenten auf Arbeitslosengeld II ab.

Teilzeit-Studierende ohne BAföG nicht von Arbeitslosengeld II ausgeschlossen
Das LSG verurteilte das Jobcenter im Wege der einstweiligen Anordnung, dem Studenten Arbeitslosengeld II zu gewähren. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei, hätten – über die Leistungen nach dem SGB II hinaus – keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die gesetzliche Regelung bezwecke, dass Ausbildungsförderung nur über das dafür vorgesehene System (BAföG) gewährleistet werde. Ein Teilzeitstudium sei nach dem BAföG jedoch nicht förderungswürdig, weil es die Arbeitskraft des Studierenden nicht voll in Anspruch nehme. Sogenannte Hartz IV-Leistungen seien in diesen Fällen nicht ausgeschlossen.

Ob in Teilzeit studiert werde, sei für das jeweilige Semester zu entscheiden und richte sich nicht nach den Verhältnissen der gesamten Ausbildung.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle: LSG Darmstadt, Beschluss vom 15.12.2020, L 9 AS 535/20 B ER

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Dass ein Erblasser Verwandte aus der Erbfolge ausschließt, ist keine Seltenheit. Doch wie ist es rechtlich zu beurteilen, wenn er die gesamte Verwandtschaft ausschließt? Ist seinem Willen buchstäblich zu folgen? Oder lässt die Formulierung Interpretationsspielraum zu? Hierzu hat das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart jetzt entschieden.

Die Erblasserin hatte in ihrem Testament „alle Verwandten und angeheirateten Verwandten“ von der Erbschaft ausgeschlossen. Diese seien „mitleidlos gegenüber unserem Vertreibungsschicksal gewesen“. Und weiter: „Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht! Das tut sehr weh!“.

Trotz dieser klaren Worte beantragte der Bruder der Erblasserin das alleinige Erbe. Das Land Baden-Württemberg vertrat allerdings die Ansicht, das Erbe falle an den Staat, denn die Verwandten seien ja komplett als Erben ausgeschlossen worden.

Nein – sagt das OLG. Zwar könne ein Erblasser durchaus alle Verwandten von der Erbschaft ausschließen. Er müsse dann auch nicht weitere Erben nennen. In solchen Fällen müsse aber die Formulierung stets im Zusammenhang mit dem gesamten Testament gesehen werden – auch wenn sie eigentlich klar und eindeutig scheint. „Was wollte der Erblasser mit seinen Worten sagen?“ Diese Frage stehe im Vordergrund, so das OLG. Der wirkliche Wille gehe dem buchstäblichen vor.

Dem im Testament wiedergegebenen Motiv der Erblasserin für den Ausschluss „der Verwandten“ lässt sich nach Ansicht des OLG entnehmen, dass die Erblasserin mit diesem Personenkreis ihren Bruder nicht mitumfasst wissen wollte. Im Testament unterscheidet die Erblasserin den mit „wir“ beschriebenen Personenkreis von dem der „Verwandten“. „Verwandte“ sind diejenigen, die sich nach Vorstellung der Erblasserin nicht hinreichend empathisch mit dem Vertriebenenschicksal gezeigt haben. „Wir“ umfasst diejenigen, die dieses Schicksal innerhalb der Familie selbst erlitten haben. Die Differenzierung nach diesen Personengruppen zeigt sich deutlich in dem Satz „Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht!“ Dass die Erblasserin den Bruder nicht zu „den Verwandten“, sondern zu dem in der ersten Person Plural umschriebenen Personenkreis zählte, wird im Satz „Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!“ deutlich.

Zwar konnte bei der so vorgenommenen Auslegung die von der Erblasserin getroffene Regelung kaum praktisch relevant werden. Denn der Bruder wäre als einziger gesetzlicher Erbe der zweiten Ordnung auch ohne die Verfügung Alleinerbe geworden. Die Ausschlussregelung hätte im Fall seines Vorversterbens oder für den Fall seiner Erbschaftsausschlagung aber dennoch Bedeutung erlangen können. Ebenso ist denkbar, dass die Erblasserin bei der Regelung von der irrigen Vorstellung ausging, dass die genannten Verwandten neben dem Bruder primär zu Erben berufen sein könnten.

Letztlich wollte das OLG auch nicht ausschließen, dass die Erblasserin schlicht das von ihr empfundene Unrecht im Wege des Testaments noch einmal ausdrücklich betonen wollte, auch wenn sich die getroffene Regelung auf die erbrechtlichen Folgen ihres Ablebens nicht auswirken sollte.

Quelle: OLG Stuttgart, Beschluss vom 23.11.2020, 8 W 359/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Hat der Vermieter das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt, muss er den Mieter – wenn er ein rechtsmissbräuchliches Verhalten vermeiden will – auf einen späteren Wegfall des Eigenbedarfs bis zum Ablauf der Kündigungsfrist hinweisen. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden.

Aber Achtung: Dieser Zeitpunkt ist für das Bestehen einer Hinweispflicht grundsätzlich auch maßgebend, wenn die Parteien in einem (gerichtlichen) Räumungsvergleich einen späteren Auszugstermin des Mieters vereinbaren. Der BGH lehnt also eine nachvertragliche Hinweispflicht des Vermieters ab. Er begründet dies mit Grundsätzen der Rechtssicherheit und eines effektiven Rechtsschutzes.

Darüber hinaus hat der BGH noch klargestellt: Der ersatzfähige (Kündigungsfolge-)Schaden eines Mieters nach einer unberechtigten Eigenbedarfskündigung durch den Vermieter umfasst nicht die zum Zwecke des Eigentumserwerbs einer Wohnung angefallenen Maklerkosten. Das Landgericht (LG) hatte das noch anders gesehen und dem Mieter auch die Maklerkosten zugesprochen. Doch der BGH lehnte dies auch in einer Entscheidung vom gleichen Tag in einer anderen Sache ab.

Quelle: BGH, Urteil vom 9.12.2020, VIII ZR 238/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Eine Stellenausschreibung benachteiligt eine Bewerberin um eine Anstellung als „Persönliche Assistentin“ einer schwerbehinderten Frau zwar wegen ihres Alters, wenn ein bestimmtes Alter gewünscht und genannt wird. Die hohen beruflichen Anforderungen der Tätigkeit rechtfertigen dies aber. So hat es das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln entschieden.

Sachverhalt
Die Beklagte ist ein Assistenzdienst, der behinderte Menschen in allen Belangen rund um das Thema „Persönliche Assistenz“ unterstützt. Durch „Persönliche Assistenten“ sollen Menschen mit Behinderungen ihr Leben selbstbestimmt leben, unabhängig von ihren körperlichen, geistigen und/oder seelischen Einschränkungen. Die Beklagte berät diese von der Beantragung des Budgets bis hin zur Bewilligung durch den Kostenträger. Ferner steht sie ihnen bei der Mitarbeitersuche zur Seite. Dies betrifft unterschiedliche Dienste, wie etwa Arbeitsassistenz, Alltagsassistenz, Freizeitassistenz, Elternassistenz, Studienassistenz oder auch 24-Stunden-Assistenz. Im Rahmen der Unterstützung bei der Mitarbeitersuche betreibt die Beklagte als Stellenmarkt auch ein Internetportal. Die behinderten Menschen können dort ein Stellenangebot inserieren. Die Beklagte stellt ihnen vorab einen Fragebogen zur Verfügung, in dem sie Wünsche im Hinblick auf die Person des Assistenten angeben können, wie etwa Geschlecht oder Alter. Bei erfolgreicher Vermittlung schließen die behinderten Menschen einen Dienstleistungsvertrag und die Assistenzperson einen Arbeitsvertrag mit der Beklagten. Im August 2018 bewarb sich die Klägerin auf eine Stellenausschreibung im o. g. Internetportal der Beklagten. Hierin suchte eine 28jährige schwerbehinderte Studentin eine „Persönliche Assistentin“ in allen Lebensbereichen des Alltags, die am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein sollte. Die Beklagte wies die Bewerbung der 50 Jahre alten Klägerin mit der Begründung zurück, sie habe sich aufgrund der hohen Anzahl von Bewerbern für einen anderen Bewerber entschieden.

So entschied das Arbeitsgericht
Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe eines potenziellen Bruttomonatsengelts von 1.770 Euro zu zahlen. Denn durch die Stellenausschreibung werde die Klägerin wegen ihres Alters ungerechtfertigt benachteiligt. Das Alter stelle keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Assistenz eines behinderten Menschen dar. Die Beklagte könne sich nicht auf das Selbstbestimmungsrecht des behinderten Menschen berufen, denn dessen Selbstbestimmungsrecht werde nicht berührt. Bei persönlichen Assistenzleistungen komme es in erster Linie auf die vom Alter unabhängige zwischenmenschliche Beziehung und Empathie an.

Andere Sichtweise der höheren Instanz
Das sah das LAG anders. Zwar benachteilige die Stellenausschreibung die Klägerin wegen ihres Alters. Dies sei hier aber aufgrund der beruflichen Anforderungen der Tätigkeit der persönlichen Assistenz gerechtfertigt. Die Beklagte verfolge mit der Anstellung „Persönlicher Assistenten“, deren Anforderungsprofil individuell von dem behinderten Menschen vorgegeben wird und deren Beschäftigung zur Erfüllung dieser Vorgaben erfolgt, auch sozialpolitische Ziele, die im Allgemeininteresse liegen. Die Realisierung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung liegt im Allgemeininteresse. Assistenzleistungen sind ein vom Gesetzgeber anerkanntes Mittel zur Verwirklichung des sozialpolitischen Ziels. Das Instrument der „Persönlichen Assistenz“ ist ein angemessenes und erforderliches Mittel zur Realisierung des Ziels, das die Klägerin nicht übermäßig benachteiligt, da ihr die Beschäftigung in anderen Formen der Assistenz verbleibt.

Quelle: LAG Köln, Urteil vom 27.5.2020, 11 Sa 284/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Vereinbaren Architekten mit ihrem Auftraggeber einen Aufschub bei der Rechnungsstellung, kann das zur Nichtigkeit des Vertrags führen. Der Architekt verliert nicht nur seinen Honoraranspruch, sondern macht sich auch der Schwarzarbeit strafbar. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einem Architekten ins Stammbuch geschrieben.

Das sagt das Steuerrecht
Das Umsatzsteuergesetz schreibt vor: Führt der Unternehmer eine steuerpflichtige Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück aus, ist er verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung zu stellen. Damit gilt auch für planerische Leistungen eines Architekten für Umbau und Neubau die Pflicht, eine Rechnung innerhalb von sechs Monaten zu erteilen.

Der Fall des Oberlandesgerichts
Im Fall des OLG Düsseldorf war der Auftraggeber des Architekten ein Investor, der selbst Bauleistungen erbrachte. Im Prozessverlauf stellte sich heraus: Es war vereinbart, dass der Auftraggeber die Planungsleistungen zum einen durch anteilige Honorarzahlung und zum zweiten durch die unentgeltliche Erbringung von Bauleistungen für das Privathaus des Architekten vergüten werde. Diese Gegenleistung erfolgte nicht, weil man sich vorher zerstritten und der Investor den Vertrag gekündigt hatte. Folglich – so das Gericht – hatte also erst die Kündigung eine Rechnungsstellung veranlasst. Hätte es die Kündigung nicht gegeben, hätte der Architekt keine Rechnung gestellt.

Leistungen außerhalb der steuerlichen Rechtsordnung
Für das OLG war klar: Die o. g. Verabredung und der zeitliche Abstand von Leistungserbringung und Schlussrechnungen (mehr als die o. g. sechs Monate) waren Beleg dafür, dass die Leistungen außerhalb der steuerlichen Rechtsordnung hätten belassen werden sollen. Damit lag dann Schwarzarbeit vor.

OLG: Klare Regeln
Entsprechend klar stellte das OLG folgende Regeln auf:

1. Erbringt ein Architekt planerische Leistungen für einen Um- und Neubau, ist er verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen.

2. Stellt der Architekt keine Rechnung aus oder vereinbaren die Parteien einen Aufschub der Rechnungsstellung, ist der Architektenvertrag nichtig.

3. Sprechen mehrere Indizien für Schwarzarbeit, genügt es nicht, wenn eine oder beide Parteien die Vereinbarung von Schwarzarbeit schlicht leugnen. Die Häufung von Indizien kann vielmehr dazu Anlass geben, automatisch einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsverbot anzunehmen.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2020, 22 U 73/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht