Das An- und Ablegen einer auf Weisung des Arbeitgebers während der Tätigkeit als Wachpolizist zu tragenden Uniform und persönlichen Schutzausrüstung nebst Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer die dienstlich zur Verfügung gestellten Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeiten nicht nutzt, sondern sich im privaten Bereich umkleidet und rüstet. Das hat jetzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) hatte den Klagen von zwei beim beklagten Land angestellten Wachpolizisten im Zentralen Objektschutz zum Teil stattgegeben und Vergütung für die Umkleidezeiten zugesprochen. Die auf vollständige Vergütung der Wegezeiten gerichteten Klagen wurden dagegen im Wesentlichen abgewiesen. Nur soweit der eine Kläger einen Umweg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte zurückzulegen hatte, stellte das LAG die Vergütungspflicht fest.

Die Revisionen der Kläger hatten vor dem BAG keinen, die Revisionen des beklagen Landes nur zum Teil Erfolg: Das Umkleiden und Rüsten mit einer besonders auffälligen Dienstkleidung, persönlichen Schutzausrüstung und Dienstwaffe ist keine zu vergütende Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer eine dienstlich zur Verfügung gestellte Umkleide- und Aufbewahrungsmöglichkeit nicht nutzt, sondern für die Verrichtung dieser Tätigkeiten seinen privaten Wohnbereich wählt. Ebenfalls nicht vergütungspflichtig ist die für das Zurücklegen des Wegs zur Arbeit von der Wohnung zum Einsatzort und zurück aufgewandte Zeit, denn der Arbeitsweg zählt zur privaten Lebensführung.

Dagegen ist die für einen Umweg zum Aufsuchen des dienstlichen Waffenschließfachs erforderliche Zeit zu vergüten. Es handelt sich um eine fremdnützige Zusammenhangstätigkeit.

Quelle: BAG, Urteil vom 31.3.2021, 5 AZR 292/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Bereits vor etwa elf Jahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden: Ein von der gegnerischen Versicherung übermitteltes höheres Restwertangebot („Überangebot“) ist zu berücksichtigen, falls das unfallbeschädigte Fahrzeug bis dahin noch nicht zum Restwert aus dem vom Geschädigten eingeholten Gutachten verkauft wurde. Nun stellt das Amtsgericht (AG) Lübeck klar: Geht ein Restwert-Überangebot des Versicherers ein, ist es möglich, dass sich dieses mit dem Verkauf des verunfallten Fahrzeugs zum gutachterlich ermittelten Wert überschneidet. Der Geschädigte verstößt dann nicht gegen die Schadenminderungspflicht, wenn er zum niedrigeren Betrag verkauft.

Im Fall des AG ging das Überangebot per Mail um 10:30 Uhr beim Anwalt des Geschädigten ein. Am gleichen Tag um 11:04 Uhr schickte der Geschädigte den Nachweis an die Kanzlei, dass er das unfallbeschädigte Fahrzeug kurz zuvor verkauft hatte.

Der eintrittspflichtige Versicherer meinte, das Überangebot habe vor dem Verkauf vorgelegen. Denn es komme darauf an, wann es beim Anwalt eingeht. Schließlich sei der Anwalt der Vertreter des Geschädigten. Davon abweichend könne man sich den Fall ja auch so denken, dass der Geschädigte nach der Arbeit zu seinem Händler fährt und verkauft, aber ein Überangebot seit ein paar Stunden bei ihm im Briefkasten liegt.

Das sah das AG anders. Denn nach der Verkehrsanschauung könne auch vom Anwalt nicht erwartet werden, dass er von einer E-Mail unmittelbar nach dem Eingang Kenntnis erlangt.

Quelle: AG Lübeck, Hinweisbeschluss vom 10.2.2021, 27 C 2389/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Viele Kinder lieben das Ponyreiten. So harmlos dieses Vergnügen auf den ersten Blick scheint, kommt es immer wieder – teils zu schweren – Unfällen. So auch in einem vom Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg entschiedenen Fall.

Ein achtjähriges Mädchen hatte mit zwei anderen Kindern an einer Pony-Reitstunde in einer Reithalle teilgenommen. Sie wurde dabei von der Angestellten der Reithalle an der Longe geführt. Die Klägerin stürzte vom Pferd, das wiederum auf sie stürzte. Die Klägerin erlitt einen Bein- und einen Schlüsselbeinbruch und musste operiert werden. Nach der Operation saß sie für sechs Wochen im Rollstuhl. Sie verklagte die Reithalle auf Schmerzensgeld.

Das Landgericht (LG) gab der Klägerin Recht und sprach ihr ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro zu: Die Reithalle hafte als Halterin des Ponys. Bei dem Unfall habe sich eine typische Tiergefahr realisiert. Dies gelte auch, wenn die Klägerin möglicherweise die Kommandos der Angestellten nicht richtig umgesetzt habe. Denn zu berücksichtigen sei das Alter des Kindes und seine mangelnde Reiterfahrung.

Die Berufung der Reithalle hatte keinen Erfolg. Das OLG: Bei einem Kind sei im Rahmen einer Reitstunde besondere Vorsicht geboten, so der Senat. Die Reithalle könne sich auch nicht darauf berufen, dass das Pony stets ruhig gewesen sei, denn sie habe es erst ein halbes Jahr vor dem Unfall erworben und nicht explizit getestet, dass es kindliche Reitfehler toleriere. Die beklagte Reitsportanlage hat dann auf einen Hinweis des OLG die Berufung zurückgenommen.

Quelle: OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 30.11.2020, 2 U 142/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Bundeskabinett hat am 10.3.2021 beschlossen, eine „Bundesstiftung Gleichstellung“ zu errichten. Dies wurde bereits im Koalitionsvertrag vereinbart. Dieser sieht die Gründung einer Bundesstiftung vor, die sich „wissenschaftlich fundiert insbesondere Fragen der gerechten Partizipation von Frauen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft widmet.“ Auf Bitte der Regierungsfraktionen hat das Bundesgleichstellungsministerium eine Formulierungshilfe für ein Errichtungsgesetz vorgelegt.

Die „Bundesstiftung Gleichstellung“ verfolgt drei Ziele:

• Sie soll zeigen, wo noch mehr Gleichstellung erforderlich ist und dafür Lösungen finden.
• Engagierte sollen sich für die Gleichstellung vernetzen und sie unterstützen.
• Das Wissen zu Gleichstellungsfragen soll vergrößert und mit Bürgerinnen und Bürgern diskutiert werden.

Die Bundesregierung hat in ihrer Formulierungshilfe vorgeschlagen, die Bundesstiftung als Stiftung des öffentlichen Rechts neben der Organisation des offenen Hauses für die Gleichstellung mit folgenden Aufgaben zu betrauen:

• Die Stiftung soll leicht verständliche und gut aufbereitete Informationen zum Stand der Gleichstellung in Deutschland bereitstellen.
• Sie soll die praktische Gleichstellungsarbeit von Verwaltung, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft stärken. Zudem soll sie die Bundesregierung bei der Umsetzung der ressortübergreifenden Gleichstellungsstrategie beraten und ihren Ausbau begleiten.
• Die Stiftung soll ein Ort sein, an dem neue Ideen gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden.

Der Gesetzentwurf wird auf Initiative der Regierungsfraktionen in den Deutschen Bundestag eingebracht werden. Nachdem im Bundeshaushalt bereits Mittel für die Bundestiftung eingestellt wurden, sollen noch in diesem Jahr wichtige Schritte zum Stiftungsaufbau, wie die Berufung eines Direktoriums, erfolgen. 2021 stehen für die Bundesstiftung bis zu drei Millionen Euro zur Verfügung, ab 2022 sollen jährlich fünf Millionen Euro eingeplant werden.

Quelle: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, PM vom 10.3.2021

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Eine Kunsthistorikerin aus Düsseldorf muss 980.000 Euro Schadenersatz an eine Erbengemeinschaft aus Essen zahlen. Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf entschieden.

Die beklagte Kunsthistorikerin hatte dem Erblasser im Jahr 2009 vier Skulpturen eines spanischen Künstlers für insgesamt 1.000.000 Euro verkauft. Wie das OLG feststellte, handelte es sich dabei jedoch um ungenehmigte Nachgüsse, die lediglich einen (Material-)Wert von 20.000 Euro haben. Im Prozess hatte die Kunstberaterin geltend gemacht, die Skulpturen von ihrem damaligen Ehemann geschenkt bekommen, jedoch jahrelang nicht ausgepackt zu haben und über ihre genaue Herkunft nichts zu wissen. Bei dem damaligen Ehemann handelt es sich um einen später wegen Betruges verurteilten Kunstberater. Der Künstler hatte 22 Originalskulpturen geschaffen, umarbeiten lassen und die hier in Rede stehende Vierergruppe aus dem Originalguss bereits veräußert, als er mit dem Ehemann Abreden zur Verwendung der restlichen Skulpturen traf. Von diesem Gespräch wusste die Kunsthistorikerin.

Nach Auffassung des Gerichts hätte sie Anlass gehabt, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erkundigen, ob es sich bei den ihr geschenkten Figuren tatsächlich um Originale oder autorisierte Exemplare handelte. Weil sie diese Erkundigungspflicht verletzte und dies nicht offenlegte, muss sie für den Sachmangel der Skulpturen einstehen und der Erbengemeinschaft die Differenz zwischen Kaufpreis und Wert als Schaden ersetzen.

Damit bestätigt das OLG im Wesentlichen ein vorhergehendes Urteil des Landgerichts (LG) Düsseldorf. Dieses richtete sich auch gegen den früheren Ehemann, der jedoch seine Berufung zurückgenommen hat. Das OLG hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen kann die Beklagte eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof (BGH) einlegen.

Quelle: OLG Düsseldorf, Urteil vom 2.2.2021, 3 U 22/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Amtsgericht (AG) München hat jetzt eine beklagte Mieterin verurteilt, ihre Zwei-Zimmer-Mietwohnung von 59 qm zu räumen und an den auf Eigenbedarf klagenden Vermieter herauszugeben.

Sachverhalt
Zum Hintergrund: Au-pair sind junge Menschen, die gegen „Kost und Logis“ bei einer Gastfamilie – häufig im Ausland – tätig sind. Im Gegenzug erlernen sie Sprache und Kultur des Gastlandes. Der Sachverhalt: Der Kläger ist Vermieter, die Beklagte seit 2002 Mieterin der Wohnung. Der Kläger lebt mit der von zuhause aus berufstätigen Ehefrau und drei Kindern, von denen zwei die Grundschule besuchen und eines erst ein Jahr alt ist, in einer Eigentumswohnung, die nur etwa knapp 700 Meter und damit wenige Gehminuten von seiner vermieteten Wohnung entfernt liegt. Er kündigte das Mietverhältnis und begründete dies damit, dass er und seine Frau ein Au-pair einstellen wollten. In ihrer Wohnung, die aus einem Elternschlafzimmer, drei Kinderzimmern, einem Wohn- und Essbereich mit offener Küche sowie Bad und einem Büro bestehe, gebe es keine Möglichkeit zur Unterbringung des Au-pair, da sämtliche Räume bereits genutzt würden.

Argumentation der Mieterin
Die Beklagte meinte, eine Unterbringung des Au-pair in der Wohnung des Klägers müsse möglich sein. Weiter könne das Au-pair in einer in vergleichbarer Distanz anzumietenden Wohnung untergebracht werden. Sie selbst gelte mit einem Grad der Behinderung von 60 als schwerbehindert. Da sie zudem Hartz-IV-Leistungen beziehe, sei sie auf dem freien Wohnungsmarkt chancenlos. Sie habe sich um Ersatzwohnraum bemüht. Auch drohe eine Verschlechterung ihres mittelgradigen depressiven Syndroms.

Kündigungsgrund lag vor
Das AG gab dem Kläger Recht. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass der Wunsch des Vermieters, ein Au-pair zur Kinderbetreuung in seinen Haushalt aufzunehmen, grundsätzlich vernünftig und nachvollziehbar ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei auch ein anerkennenswerter Kündigungsgrund gegeben, wenn der Vermieter ein Au-pair in einer vermieteten Wohnung unterbringen möchte, die fußläufig von seinem bewohnten Eigenheim entfernt liegt. Der Kläger habe überzeugend dargelegt, nur mithilfe eines Au-pairs könne seine Frau ihrem Beruf wieder nachgehen und sei die Kinderbetreuung gleichzeitig sichergestellt. Es sei auch nicht erforderlich, dass das Bedürfnis für die Hilfskraft bereits bei Ausspruch der Kündigung besteht, sondern es genüge, dass aufgrund äußerer Umstände mit einiger Sicherheit damit gerechnet werden muss, dass der Vermieter die Dienste in naher Zukunft für seine Lebensführung benötigt.

Raumaufteilung private Angelegenheit
Die Argumentation der Beklagten, aufgrund des jungen Alters der Kinder, gerade des Kleinkindes, benötigten diese kein eigenes Zimmer, überzeugte das AG nicht. Die Raumaufteilung innerhalb der eigenen Wohnung sei allein Sache des Klägers und seiner Familie. Diese unterliege nur einer Missbrauchskontrolle dahingehend, ob der verfügbare Wohnraum und die angegebene Nutzung in einem auffälligen Missverhältnis stehen, sodass sich der Verdacht aufdrängen müsste, die volle Ausnutzung des Wohnraums werde nur vorgespiegelt, um die Kündigung zu ermöglichen. Dafür seien hier aber keine Anhaltspunkte erkennbar. Würde man zudem verlangen, dass ein Au-pair stets im selben Haus oder derselben Wohnung lebt, wie die Gastfamilie, würde dies zu einer Schlechterstellung von Familien führen, die kinderreich sind, aber über kein Haus verfügen, sondern in einer Wohnung leben. Ihnen wäre die Anstellung und Unterbringung eines Au-pair als Hilfestellung, damit beide Elternteile wieder berufstätig sein können, praktisch verwehrt.

Fehlende Nachweise
Aufgrund des vorgelegten Attests stehe fest, dass die Beklagte nicht in durchgehender ärztlicher Behandlung war. Sie habe nicht im Ansatz substanziiert dargestellt, dass sie wegen einer Krankheit an der Räumung gehindert sei. Auch die Tatsache, dass sie zu 60 Prozent schwerbehindert ist, reiche für sich genommen nicht aus. Ein Sachverständigengutachten sei daher nicht einzuholen gewesen.

Die Beklagte habe fast ausschließlich nur im zentralsten Innenstadtbereich und nur in besonders beliebten Vierteln nach Ersatzwohnraum gesucht und so nicht nachgewiesen, alles Erforderliche und Zumutbare unternommen zu haben, eine Ersatzwohnung zu erlangen.

Entgegenkommen wegen Pandemiesituation
Da der Kündigungsgrund nicht von ihr zu verantworten sei, Ersatzwohnraum infolge der Corona-Pandemie und des aktuellen Lockdowns derzeit noch erheblich schwerer zu finden sei, andererseits die Kündigungsfrist bereits abgelaufen sei, hat das AG die Räumungsfrist noch einmal um etwa ein halbes Jahr verlängert.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Quelle: AG München, Urteil vom 12.1.2021, 473 C 11647/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Das Arbeitsgericht (ArbG) Berlin hat aktuell in mehreren Entscheidungen festgestellt: Der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie oder einen Umsatzrückgang aufgrund der Pandemie genügt nicht, um eine betriebsbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

In einer Entscheidung vom 5.11.20 stellte das ArbG fest, dass der Arbeitgeber anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darstellen muss, warum nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist.

Beachten Sie Wird im Betrieb Kurzarbeit geleistet, spricht dies gegen einen dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf.

In mehreren Entscheidungen vom 25.8.20 sagte das ArbG: Die Erklärung, es habe einen starken Umsatzrückgang gegeben und man habe nicht anders auf denselben reagieren können, als eine Anzahl von Kündigungen auszusprechen, sei keine ausreichende Begründung zur Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung.

Schließlich stellte das ArbG am 10.8.20 in einem anderen Verfahren fest: Auch wenn kein allgemeiner Anspruch auf eine Tätigkeit im Home-Office bestehe, könne die mögliche Arbeit von zu Hause aus bei vorhandenen technischen Voraussetzungen einer Änderungskündigung zur Zuweisung eines anderen Arbeitsorts entgegenstehen. Die stärkere Verbreitung des Arbeitens im Home-Office aufgrund der Pandemie zeige, dass Arbeiten von zu Hause aus möglich sei.

Gegen diese Entscheidung wurde Berufung beim LAG Berlin-Brandenburg eingelegt.

Quelle: ArbG Berlin, Urteile vom 5.11.2020, 38 Ca 4569/20; 25.8.2020, 34 Ca 6664/20, 34 Ca 6667/20, 34 Ca 6668/20; 10.8.2020, 19 Ca 13189/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden: Wird ein Grundstück so geteilt, dass eine Giebelmauer, an die von beiden Seiten angebaut ist, auf der neuen Grundstücksgrenze steht, wird die Mauer hierdurch im Zweifel eine sog. gemeinschaftliche Grenzeinrichtung. Das hat Folgen, z. B. wenn es, wie im Fall des BGH, zu einem Brand eines an eine Nachbarwand angebauten Gebäudes kommt.

Das war geschehen
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Ihre Grundstücke sind im Wege der Teilung aus einem größeren Grundstück hervorgegangen. Auf diesem befand sich auf dem heute im Eigentum der Beklagten stehenden Grundstücksteil eine Scheune, an deren südliche Außenmauer etwa im Jahr 1930 das heutige Wohnhaus des Klägers angebaut wurde. Der Teilungsvereinbarung zufolge verläuft die Grenze „zwischen dem Wohnhaus und der Scheune entlang der Außenmauer des Scheunengebäudes“. Nach der in der Urkunde aus dem Jahr 2000 in Bezug genommenen Flurkarte verläuft die Grenze zwischen den beiden Grundstücken im Bereich der Gebäude mittig durch die Gebäudetrennwand. Im Jahr 2011 wurde die Scheune durch einen Brand stark beschädigt. Die Gebäudeversicherung des Klägers zahlte diesem zur Regulierung des durch den Übertritt des Feuers auf sein Wohnhaus entstandenen Schadens einen Betrag, in dem gutachterlich ermittelte Kosten für die Sanierung der Gebäudetrennwand von 50.824 Euro enthalten sind.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Maßnahmen zur Sanierung der Gebäudetrennwand. Das Landgericht (LG) hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die Beklagten verurteilt, „diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um das Gebäude des Klägers […] im Bereich der Gebäudetrennwand ausreichend gegen Witterung zu schützen, gegen Wärmeverlust zu dämmen und Feuchtigkeitsimmissionen abzuwehren“. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision möchten die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen. Mit der Anschlussrevision verfolgt der Kläger seinen u.a. auf Verurteilung der Beklagten zur Beseitigung der an der Gebäudetrennwand entstandenen Schäden gerichteten weiteren Klageantrag weiter.

So sieht es der BGH
Der BGH: Brennt ein an eine gemeinsame Giebelmauer (Nachbarwand) angebautes Gebäude ab, sodass die Mauer freigelegt und in ihrer Funktionstüchtigkeit als Abschlusswand des Nachbargebäudes beeinträchtigt wird, hat der Nachbar einen Anspruch gegen den Eigentümer des von dem Brand betroffenen Grundstücks auf Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der Nachbarwand. Ob und gegebenenfalls in welchem Maß die Wand zu dämmen ist, hängt davon ab, ob und in welchem Umfang sie vor ihrer Freilegung (auch) die Funktion hatte, das Nachbargebäude vor Wärmeverlust zu schützen; dies ist nach den konkreten Umständen bei der Errichtung der Wand bzw. der Teilung des Grundstücks zu beurteilen oder gegebenenfalls nach dem Zustand, den die Wand aufgrund einer gemeinschaftlichen Ertüchtigung durch die Nachbarn zuletzt aufwies.

Beachten Sie Der BGH hat noch auf Folgendes hingewiesen: Der Anspruch des Nachbarn auf Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit der durch einen Brand freigelegten gemeinsamen Giebelwand ist kein Ersatzanspruch nach dem Versicherungsvertragsgesetz. Er geht daher nicht auf die Gebäudeversicherung des Nachbarn über, wenn diese den durch den Brand an seinem Gebäude entstandenen Schaden reguliert.

Quelle: BGH, Urteil vom 22.1.2021, V ZR 12/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht

Mitunter kommt es zu „interessanten“ Erklärungsversuchen, um sich einem Bußgeld zu entziehen. Das Amtsgericht (AG) Frankfurt a. M. hat entschieden: Es handelt sich um eine bloße Schutzbehauptung, wenn ein Verkehrsteilnehmer angibt, er habe statt eines Mobiltelefons lediglich eine Bürste benutzt, um sich den Bart zu kämmen.

Der Betroffene war mit einem von ihm gelenkten Omnibus in eine Polizeikontrolle zur Feststellung von „Handyverstößen“ geraten. Ein Beamter fertigte eine Fotosequenz an, auf der zu erkennen war, dass der Betroffene einen weißen Gegenstand mit der rechten Hand an sein rechtes Ohr hält. Im Verfahren trug der Betroffene Zweierlei vor: Zum einen habe er mit dem Fahrzeug bei dem vermeintlichen Bußgeldverstoß gestanden. Zum anderen würden die aufgenommenen Bilder lediglich zeigen, dass er seinen Bart mit einer weißen Bürste kämme. Es sei auch zu sehen, dass sich seine Hände gar nicht am Lenkrad befunden hätten.

Trotz seiner Einwände hat das AG gegen den Betroffenen wegen vorschriftswidrigen Benutzens eines Mobiltelefons eine Geldbuße in Höhe von 180 Euro festgesetzt. Die Benutzung einer weißen Haarbürste stelle eine bloße Schutzbehauptung dar. Die in der Hauptverhandlung in Augenschein genommene Bürste habe eine geschwungene, zu den Ecken hin abgerundete Form aufgewiesen, währenddessen auf den Bildern ein rechteckiger Gegenstand durch das bloße Anlegen eines Lineals zu erkennen gewesen sei. Des Weiteren zeige die Fotosequenz das benutzte Gerät immer an gleicher Stelle. Ein Kämmvorgang setze zwangsläufig eine Kammführung nach unten und/oder zur Seite voraus, die den Bildern nicht zu entnehmen sei. Die Bildsequenz belege auch, dass sich der Bus bewegt habe. Der Einwand, das Fahrzeug könne nicht in Bewegung gewesen sein, weil sich keine Hand am Lenkrad befunden habe, gebe zwar u. U. Anlass zu einer allgemeinen Überprüfung der Fahreignung, rechtfertige aber indes nicht den gewünschten Rückschluss auf ein stehendes Fahrzeug. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig.

Quelle: AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.6.2020, 971 Owi 363 Js 72112/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Verkehrsrecht

Wie frühzeitig muss eine Reise storniert werden, wenn sich andeutet, dass sie möglicherweise nicht angetreten werden kann? Das Amtsgericht (AG) Bergisch Gladbach sagt: Der Reisende als Versicherungsnehmer einer Reiserücktrittsversicherung muss nicht sofort beim ersten Anzeichen der Möglichkeit, dass er seine Versicherung beanspruchen könnte, die Reise stornieren.

Das war geschehen
Der Versicherungsnehmer der Reiserücktrittsversicherung hatte für sich und seine Ehefrau eine Kreuzfahrt gebucht. Diese sollte am 15.9.18 beginnen. Am 29.7.18 erlitt die Ehefrau einen Fahrradunfall. Am 15.8.18 wurde im Krankenhaus festgestellt, dass sie ein sog. chronisches subdurales Hämatom hatte. Typisch hierfür ist, dass Symptome nicht unmittelbar auftreten, sondern erst nach einigen Tagen. Am 18.8.18 wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Anlässlich einer Kontrolluntersuchung am 12.9.18 stellte sich heraus, dass sich das Hämatom auf 2,1 cm vergrößert hatte und frischblutige Anteile zu erkennen waren. Es war daher eine Operation am 14.9.18 erforderlich.

Am darauffolgenden Tag stornierte der Versicherungsnehmer die Reise. Von den Stornokosten erstattete die Versicherung nur ca. 1/4. Sie meint, dass der Versicherungsnehmer gegen seine Obliegenheit aus dem Versicherungsverhältnis verstoßen habe. Die Tatsache, dass die Reise nicht angetreten werden kann, sei ihm schon früher bekannt gewesen oder hätte ihm bekannt sein sollen. Er hätte die Reise schon am Tag des Unfalls stornieren müssen, spätestens aber beim ersten Klinikaufenthalt. Dann wären die Stornokosten geringer gewesen.

Amtsgericht widerspricht Versicherungsunternehmen
Das AG sah das anders. Es verurteilte die Versicherung, die vollen Stornogebühren zu zahlen. Der Versicherungsnehmer habe insbesondere nicht gegen seine Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verstoßen. Denn die Reise wurde unverzüglich im Sinne der Vertragsbedingungen storniert.

Begriff der Unverzüglichkeit
Für die „Unverzüglichkeit“ ist zu beachten, dass das Prognoserisiko Teil des abgesicherten Schadensszenarios ist. Beinahe jeder Reisestornierungsfrage wohnt ein mitunter sogar großer prognostischer Teil inne: Dass ein Reiseantritt völlig ausgeschlossen ist, mag im Einzelfall zutreffen. Oft lassen sich aber Heilungsverlauf, -geschwindigkeit und -wahrscheinlichkeit nur mit Wahrscheinlichkeiten für die Zukunft beurteilen und nicht abschließend sicher für die Zukunft feststellen. Ist dies der Fall, ist dem Versicherungsnehmer ein erheblicher Ermessensspielraum zuzugestehen.

Entsprechend kann dem Versicherungsnehmer seine Stornierung erst kurz vor dem beabsichtigten Reiseantritt nicht entgegengehalten werden. Er konnte selbst zum Zeitpunkt nach dem Sturz noch nicht von einem Versicherungsfall ausgehen. Denn bei der Verletzung, die seine Frau davongetragen hatte, treten Symptome in der Regel erst verspätet auf. Auch kann dem Versicherungsnehmer nicht entgegengehalten werden, dass er nicht im August anlässlich der ersten Untersuchung die Reise stornierte. Es kommt letztlich nicht darauf an, ob er und seiner Frau bei der Entlassung die Reisemöglichkeit zugesagt wurde. Denn schon aus der Tatsache, dass die Ehefrau aus der Klinik entlassen wurde, folgt zwingend, dass einem durchschnittlich ruhigen Tagesablauf keinerlei medizinische Gründe entgegenstehen. Ausweislich des Arztbriefs aus August durfte die Ehefrau auch Auto fahren. Dann aber ist nicht erkennbar, warum trotzdem eine Flussreise ausgeschlossen sein sollte.

Operation war nicht absehbar
Letztlich hat der Versicherungsnehmer auch nicht wegen der Symptomatik und dem Gesundheitszustand im August die Reise storniert, sondern wegen der Notwendigkeit der Operation. Dass diese für ihn im August erkennbar war, ist aber nicht einleuchtend. Denn für die hier vorliegende Verletzung ist typisch, dass eine Operation entweder unnötig ist, da von einer unkomplizierten Heilung ausgegangen wird oder eine Operation unverzüglich nötig ist.

Quelle: AG Bergisch-Gladbach, Urteil vom 5.10.2020, 66 C 95/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl