Im Streit um Schadenersatz aufgrund eines Vorfalls in einer Tiefgarage einer Wohnanlage wies das Amtsgericht (AG) München die Klage einer Frau auf Zahlung von rd. 9.000 Euro ab.

Die Frau ist Eigentümerin einer Wohnung der beklagten Eigentümergemeinschaft und besitzt dort auch einen Tiefgaragenstellplatz. Mit der Klage machte sie geltend, ihr Porsche Coupé 911 sei bei der ordnungsgemäßen Ausfahrt aus der Tiefgarage beschädigt worden. Die Frau behauptete, sie habe zunächst von innen das Tor mit ihrem Sensorschlüssel geöffnet. Als die zum Tor gehörende Ampel auf „Grün“ gewechselt sei, sei sie die Ausfahrtsrampe hinaufgefahren. Als sie sich im Bereich des Rolltors befand, sei dieses völlig unerwartet auf dem Dach ihres Fahrzeugs aufgeschlagen. Sie sei nach dem Aufprall mit ihrem Fahrzeug schockiert stehengeblieben und ausgestiegen. Das Rolltor habe das Dach des Porsches mittig getroffen und deutlich beschädigt.

Die Frau war der Ansicht, die Eigentümergemeinschaft habe ihre Verkehrssicherungspflichten nicht erfüllt. Sie sei beweispflichtig und müsse sich entlasten.

Die Eigentümergemeinschaft bestritt den streitgegenständlichen Vorfall einschließlich der daraus geltend gemachten Schäden mit Nichtwissen. Weiter trug sie vor, das Tor habe zum Zeitpunkt des behaupteten Unfallgeschehens den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen und fehlerfrei funktioniert.

Das AG wies die Klage ab. Es spreche kein sog. Beweis des ersten Anscheins für eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten durch die Eigentümergemeinschaft, denn es liege keineswegs auf der Hand, dass das schädigende Ereignis nur auf einem Versagen von Haltevorrichtung und/oder Sicherheitssystemen des Ausfahrtstores beruhen kann. Rein hypothetisch könne der Vorfall durch ein Versagen der Halte- und/oder Sicherungssysteme des Tores ausgelöst worden sein. Ebenso könne es zu dem schädigenden Ereignis gekommen sein, weil die Frau die Auffahrtsrampe erst bei sich schließendem Tor befahren hat. Sie müsse beweisen, dass sie bei auf „Grün“ stehender Lichtzeichenanlage ihre Fahrt die Auffahrtsrampe hinauf angetreten hat und das Rolltor ohne Verzögerung passiert hat bzw. passieren wollte. Diesen Beweis habe sie nicht erbracht.

Das Gericht musste nicht abschließend die Frage klären, ob die Frau bei „Grün“ oder bei „Rot“ die Ausfahrt hinauffuhr. Eine Klageabweisung erfolgt bereits, wenn sie den Nachweis nicht erbringt, dass sie ordnungsgemäß bei „Grün“ gefahren ist. Dies sei hier der Fall gewesen. Falls die Klägerin die Rampe bei „Rot“ angefahren hat und das Tor passieren wollte, müsse die Eigentümergemeinschaft im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflichten keine Sicherungssysteme bereithalten.

Quelle: AG München, Urteil vom 28.4.2023, 1290 C 17690/22 WEG

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat der Verfassungsbeschwerde eines verbeamteten Lehrers stattgegeben, die sich gegen eine Durchsuchungsanordnung richtete.

Das war geschehen
Gegen den Lehrer wurde wegen des Verdachts der Beleidigung von zwei Polizeibeamten ermittelt. Um Informationen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu erlangen, ordnete das Amtsgericht (AG) an, seine Wohnung zu durchsuchen. Der Lehrer gewährte den die Durchsuchungsanordnung vollziehenden Beamten Eintritt in seine Wohnung und übergab ihnen verschiedene Unterlagen. Das Strafverfahren endete mit einer Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage.

Verletzung von Grundrechten
Die Anordnung der Durchsuchung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach dem Grundgesetz (Art. 13 Abs. 1 GG). Sie war unverhältnismäßig. Angesichts grundrechtsschonender, alternativer Ermittlungshandlungen stand eine Durchsuchung außer Verhältnis zur Schwere der verfolgten Straftat.

Zwar war die Durchsuchung nicht bereits deshalb unzulässig, weil lediglich die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ermittelt werden sollten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft müssen sich nämlich auch auf Umstände beziehen, die für die Bestimmung der Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind. Dazu zählen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten zwecks Bestimmung der Tagessatzhöhe.

Lehrer hätte zuerst befragt werden müssen
Naheliegend und grundrechtsschonend wäre es gewesen, zunächst den Beschwerdeführer über seinen Verteidiger zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu befragen. Eine solche Nachfrage hätte im Streitfall mit realistischer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, ausreichende Informationen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu erlangen. Auch die Gefahr eines Beweismittelverlustes bestand nicht.

Anfrage an Besoldungsstelle als Alternative
Als naheliegende und grundrechtsschonende Alternative zu einer Wohnungsdurchsuchung wäre aber auch eine Anfrage bei der Besoldungsstelle des Beschwerdeführers nach dem von dort bezogenen Einkommen in Betracht gekommen. Durch eine solche Anfrage sind zwar nicht zwingend Informationen zu allen Einkünften zu erlangen. Das Strafgesetzbuch (hier: § 40 Abs. 3 StGB) erfordert aber – zumal in Fällen der kleineren Kriminalität – auch nicht die Ausschöpfung aller Beweismittel, wenn ansonsten die fachrechtlichen Voraussetzungen für eine Schätzung der Einkünfte vorliegen. Durchsuchungen zur Ermittlung der für die Bestimmung der Tagessatzhöhe entscheidenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eines Beschuldigten sind daher grundsätzlich nur verhältnismäßig, wenn anhand der übrigen zur Verfügung stehenden Beweismittel keine Schätzung möglich ist.

Weitere alternative Anfragen möglich
Hätten sich Staatsanwaltschaft und AG mit den durch die genannten Maßnahmen zu erlangenden Informationen zum Einkommen des Beschwerdeführers nicht begnügen wollen, wären darüber hinaus eine Abfrage bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und anschließende Bankanfragen in Betracht gekommen. Auch insoweit handelt es sich im Vergleich zur angeordneten Durchsuchung um eine meist weniger grundrechtsintensive Maßnahme.

Quelle: BVerfG, Beschluss vom 15.11.2023, 1 BvR 52/23

Mitgeteilt von Rechtsanwaltskanzlei Herren aus 50321 Brühl

Das Arbeitsgericht (ArbG) Göttingen hat die Kündigungsschutzklage eines Busfahrers gegen die Göttinger Verkehrsbetriebe GmbH als unbegründet abgewiesen. Sein Verhalten in dem konkreten Fall sei eine schwerwiegende Pflichtverletzung gewesen.

Fahrer schlägt Fahrgast: fristlose Kündigung
Der Kläger ist seit 25 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und wurde im Sommer 2023 fristlos gekündigt. Die Beklagte hat dem Kläger vorgeworfen, dass dieser einen Fahrgast gewaltsam von seinem Sitz gezogen und aus dem Bus geworfen habe. Nachdem der Fahrgast auf den Boden gefallen und wieder aufgestanden war, soll der Kläger ihn mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben.

Der Kläger behauptete, dass der alkoholisierte Fahrgast eine junge Frau belästigt habe. Zudem habe er sich geweigert, einen Fahrausweis zu zeigen und ihn – den Kläger – beleidigt. Auf Aufforderung habe er den Bus nicht verlassen. Nach dem Rauswurf habe der Fahrgast mit einer Getränkedose in der Hand eine Bewegung auf ihn zu gemacht und sich ihm drohend genähert. Daraufhin habe er – der Kläger – im Affekt eine Abwehr-/Schlagbewegung vollführt.

Der Bus ist mit sechs Überwachungskameras ausgestattet. Das ArbG hat die Videoaufzeichnungen in Augenschein genommen. Darauf ist zu erkennen, dass die Vorwürfe der Beklagten im Wesentlichen zutreffen. Der Kläger hat den Fahrgast, nachdem dieser auf seine Ansprache und die Aufforderung, den Bus zu verlassen, nicht reagierte, vom Sitz gezogen, wodurch dieser noch im Bus hingefallen ist. Im Anschluss daran griff der Kläger den Fahrgast von hinten an der Kleidung, um ihn aus dem Bus zu befördern. Auf dem Bürgersteig ist der Fahrgast aufgestanden. Daraufhin hat der Kläger ihn in der Nähe des Halses an der Kleidung gepackt und mit der Faust ausgeholt. Ob er den Fahrgast getroffen hat, ist auf dem Video nicht eindeutig zu erkennen.

Ob der alkoholisierte Fahrgast zuvor andere Fahrgäste belästigt hatte, ließ sich über die Videoaufzeichnungen nicht feststellen. Im Vorfeld war eine junge Frau aufgestanden, da sie den Fahrgast offensichtlich als unangenehm empfunden hat. Zum Zeitpunkt des Vorfalls befand sich diese aber nicht mehr in der Nähe.

Große Belastung durch schwierige Fahrgäste, aber Abmahnung nicht nötig
Nach Ansicht des Gerichts stellt das Verhalten des Klägers eine schwerwiegende Vertragspflichtverletzung dar. Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass schwierige Fahrgäste für Busfahrer eine große Belastung darstellen. Nachdem der Fahrgast den Bus nicht freiwillig verlassen wollte, hätte der Kläger aber die Leitstelle oder die Polizei anrufen können und müssen. Eine vorherige Abmahnung war aus der Sicht des Gerichts nicht erforderlich.

Quelle: ArbG Göttingen, Urteil vom 23.1.2024, 1 Ca 219/23, PM vom 30.1.2024

Bei einem Gebäude aus den 1960iger Jahren sind – trotz erfolgter Sanierungsmaßnahmen (hier: im Jahr 2009) – hinsichtlich der Schadensempfindlichkeit und seiner Anfälligkeit für Schimmelbefall höhere Anforderungen an das Nutzerverhalten zu stellen als bei einem Neubau. Der Mieter ist hier zu einem Wohnverhalten verpflichtet, das diesem konkreten Gebäudezustand Rechnung trägt. Dazu zählen ein ausreichendes Lüften und Beheizen sämtlicher Räume und eine schadensverhütende Möblierung. So hat es das Landgericht (LG) Hanau entschieden.

Es ging um eine Genossenschaftswohnung in einem Gebäude aus den 1960iger Jahren, das 2009 saniert worden war. Die Mieter minderten die Miete wegen Schimmelbefall. Sie hielten bauliche Mängel, insbesondere Rohrleckagen, Undichtigkeiten der Außenwände und der Kellerdecke sowie ein fehlerhaftes Lüftungskonzept im Rahmen der erfolgten Sanierung (Verstoß gegen DIN 1946-6 wegen Fehlen einer nutzerunabhängigen Grundlüftung) für ursächlich.

Die Zahlungsklage der Vermieterin hatte schon vor dem Amtsgericht (AG) Erfolg. Dort hatte ein Sachverständiger verbindlich festgestellt, dass die Schimmelbildung ausschließlich auf einem fehlerhaften Nutzerverhalten der Mieter beruhte.

Das LG in zweiter Instanz: Angesichts des Alters des Gebäudes und der verhältnismäßig geringen Miete können die Mieter keinen Neubaustandard erwarten. Sie sind zu einem Wohnverhalten verpflichtet, das dem konkreten Gebäudezustand Rechnung trägt. Dazu zählen ein ausreichendes Lüften und Beheizen sämtlicher Räume und eine schadensverhütende Möblierung (z.B. Abrücken größerer Möbelstücke von der Außenwand oder Platzierung an anderer Stelle).

Selbst aus der etwaigen Nichteinhaltung der DIN 1946-6 kann nicht ohne Weiteres auf einen Mangel der Wohnung geschlossen werden. Da die Mieter die Schimmelbildung mit zumutbaren Maßnahmen hätten vermeiden können, bestand kein Mietminderungsrecht.

Quelle: LG Hanau, Urteil vom 13.7.2022, 2 S 2/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Mietrecht

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt erstmals entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucherbauvertrag im Sinne des mit Wirkung zum 1.1.2018 neu eingeführten Paragrafen im bürgerlichen Gesetzbuch (§ 650i BGB) vorliegt.

Das war geschehen

Die beklagten Eheleute ließen als private Bauherren einen Neubau errichten, wobei sie die erforderlichen Gewerke an einzelne Bauunternehmer vergaben. Die Klägerin erbrachte von November 2018 bis Januar 2019 aufgrund eines Vertrags von August 2018 über die Ausführung von Innenputz- und Außenputzarbeiten auf Einheitspreisbasis ihre Leistungen. Auf Abschlagsrechnungen in Höhe von rund 30.000 Euro leisteten die Beklagten nur Zahlungen in Höhe von gut 20.000 Euro. Die Klägerin forderte die Beklagten zunächst unter Fristsetzung erfolglos auf, den offenen Betrag zu zahlen und anschließend eine Bauhandwerkersicherung von knapp 10.000 Euro zu leisten.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Landgericht (LG) hat der Klage auf Sicherheitsleistung stattgegeben. Hiergegen haben sich die Beklagten mit der Berufung gewandt. Nachdem die Beklagten knapp 10.000 Euro an die Klägerin gezahlt hatten, hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagten haben der Erledigungserklärung widersprochen. Das Oberlandesgericht (OLG) hat die nun auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache gerichtete Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, die ursprüngliche Klage auf Sicherheitsleistung sei unbegründet gewesen. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung habe von Anfang nicht greifen können. Die Beklagten als Besteller seien Verbraucher und hätten mit der Klägerin einen Verbraucherbauvertrag geschlossen. Ein solcher liege auch bei einer – wie hier – gewerkeweisen Vergabe von Bauleistungen vor. Mit ihrer Revision hat die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiterverfolgt.

So sieht es der Bundesgerichtshof

Die Revision der Klägerin ist erfolgreich gewesen. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und festgestellt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat. Die Klage auf Sicherheitsleistung war ursprünglich begründet und hat sich erledigt. Die Parteien haben keinen Verbraucherbauvertrag geschlossen.

Nach der gesetzlichen Definition in § 650i Abs. 1 Fall 1 BGB setzt ein Verbraucherbauvertrag voraus, dass es sich um einen Vertrag mit einem Verbraucher handelt, durch den der Unternehmer zum Bau eines neuen Gebäudes verpflichtet wird. Dafür reicht es schon nach dem Wortlaut nicht aus, dass der Unternehmer die Verpflichtung zur Erbringung eines einzelnen Gewerks im Rahmen eines Neubaus eines Gebäudes übernimmt. Darin unterscheidet sich die Vorschrift in entscheidender Weise von dem gleichzeitig in Kraft getretenen § 650a BGB. Dort wird ausdrücklich unter anderem ein Vertrag über die Herstellung eines Bauwerks „oder eines Teils davon“ erfasst. Eine weitere abweichende Formulierung findet sich zudem in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB, der die Verjährung werkvertraglicher Mängelansprüche regelt und dort eine spezielle Verjährungsfrist für Ansprüche „bei einem Bauwerk“ vorsieht.

Die mit dem Abschluss eines Verbraucherbauvertrags verbundene Verpflichtung des Unternehmers, dem Verbraucher eine Baubeschreibung zur Verfügung zu stellen, die mindestens unter anderem Pläne mit Raum- und Flächenangaben sowie Ansichten, Grundrisse und Schnitte enthalten muss, spricht ebenfalls für dieses Verständnis.

Soweit die Auffassung vertreten wird, der Gedanke des Verbraucherschutzes erfordere es, auch die gewerkeweise vergebenen Leistungen im Rahmen des Neubaus eines Gebäudes denselben Vorschriften zu unterwerfen, wie die Verpflichtung zum Neubau eines Gebäudes, hat das keine Umsetzung im Gesetz gefunden. Hinzu kommt, dass diese rechtspolitische Erwägung auch nicht ohne Weiteres im Rahmen einer Auslegung mit eindeutigen Rechtsfolgen verknüpft werden kann, weil die Verbraucherschutzvorschriften bei einem Verbraucherbauvertrag insgesamt nicht ausschließlich als umfassender und günstiger für den Verbraucher angesehen werden können als dies bei einem Vertrag der Fall ist, für den sie nicht gelten. Schließlich verbietet es auch das Gebot der Rechtsklarheit hier in besonderer Weise, den Begriff des Verbraucherbauvertrags aufgrund einer allgemeinen Zielvorstellung des Verbraucherschutzes zu erweitern, ohne dass dies im Gesetzestext erkennbar wäre. Denn der Unternehmer muss erkennen können, ob und welche Unterrichtungs- und Belehrungspflichten ihn schon im Vorfeld des Vertrags treffen.

Quelle: BGH, Urteil vom 16.3.2023, VII ZR 94/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Baurecht

Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch – unverbindliche – Wünsche anmelden können, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden. So entschied es nun das Bundesarbeitsgericht (BAG).

So regelte der Arbeitgeber die Arbeitszeiten

Der Kläger ist als Rettungsassistent im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bei der Beklagten tätig. Diese führt im Auftrag eines Rettungszweckverbands u. a. Notfallrettung und Krankentransporte durch. Sie beschäftigt – nach ihrer Diktion – sog. „hauptamtliche“ Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit, denen sie im Streitzeitraum eine Stundenvergütung von 17,00 Euro brutto zahlte. Daneben sind sog. „nebenamtliche“ Rettungsassistenten für sie tätig, die eine Stundenvergütung von 12,00 Euro brutto erhalten. Hierzu gehört der Kläger.

Die Beklagte teilt die nebenamtlichen Rettungsassistenten nicht einseitig zu Diensten ein, diese können vielmehr Wunschtermine für Einsätze benennen, denen die Beklagte versucht, zu entsprechen. Ein Anspruch hierauf besteht allerdings nicht. Zudem teilt die Beklagte den nebenamtlichen Rettungsassistenten noch zu besetzende freie Dienstschichten mit und bittet mit kurzfristigen Anfragen bei Ausfall von hauptamtlichen Rettungsassistenten um Übernahme eines Dienstes. Im Arbeitsvertrag des Klägers ist eine durchschnittliche Arbeitszeit von 16 Stunden pro Monat vorgesehen. Darüber hinaus ist bestimmt, dass er weitere Stunden leisten kann und verpflichtet ist, sich aktiv um Schichten zu kümmern.

Das verlangte der Arbeitnehmer

Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer zusätzliche Vergütung in Höhe von 3.285,88 Euro brutto für die Zeit von Januar 2020 bis April 2021 verlangt. Er hat geltend gemacht, die unterschiedliche Stundenvergütung im Vergleich zu den hauptamtlichen Mitarbeitern stelle eine Benachteiligung wegen seiner Teilzeittätigkeit dar. Die Beklagte hält die Vergütungsdifferenz für sachlich gerechtfertigt, weil sie mit den hauptamtlichen Rettungsassistenten größere Planungssicherheit und weniger Planungsaufwand habe. Diese erhielten zudem eine höhere Stundenvergütung, weil sie sich auf Weisung zu bestimmten Diensten einfinden müssten.

So sahen es die Gerichte

Das Arbeitsgericht (ArbG) hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des ArbG geändert und die Beklagte verurteilt, die geforderte Vergütung zu zahlen.

Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BAG ohne Erfolg. Das LAG hat danach richtig erkannt, dass die im Vergleich zu den hauptamtlichen Rettungsassistenten geringere Stundenvergütung den Kläger ohne sachlichen Grund benachteiligt. Die haupt- und nebenamtlichen Rettungsassistenten sind gleich qualifiziert und üben die gleiche Tätigkeit aus. Der von der Beklagten pauschal behauptete erhöhte Planungsaufwand bei der Einsatzplanung der nebenamtlichen Rettungsassistenten bildet keinen sachlichen Grund dafür, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Es ist bereits nicht erkennbar, dass dieser Aufwand unter Berücksichtigung der erforderlichen „24/7-Dienstplanung“ und der öffentlich-rechtlichen Vorgaben zur Besetzung der Rettungs- und Krankenwagen signifikant höher ist.

Höhere Stundenvergütung, weil Schichten nicht abgelehnt werden können,…

Auch wenn man unterstellt, dass die Beklagte durch den Einsatz der hauptamtlichen Rettungsassistenten mehr Planungssicherheit hat, weil sie diesen einseitig Schichten zuweisen kann, ist sie hierbei jedoch nicht frei. Sie unterliegt vielmehr u. a. durch das Arbeitszeitgesetz vorgegebenen Grenzen in Bezug auf die Dauer der Arbeitszeit und die Einhaltung der Ruhepausen. Die nebenamtlichen Rettungsassistenten bilden insoweit ihre Einsatzreserve.

… ist nicht gerechtfertigt

Unerheblich ist, dass diese frei in der Gestaltung der Arbeitszeit sind. Die Beklagte lässt insoweit unberücksichtigt, dass diese Personengruppe weder nach Lage noch nach zeitlichem Umfang Anspruch auf Zuweisung der gewünschten Dienste hat. Dass sich ein Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers zu bestimmten Dienstzeiten einfinden muss, rechtfertigt in der gebotenen Gesamtschau keine höhere Stundenvergütung gegenüber einem Arbeitnehmer, der frei ist, Dienste anzunehmen oder abzulehnen.

Quelle: BAG, Urteil vom 18.1.2023, 5 AZR 108/22

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl – Arbeitsrecht

Der Bereitschaftsdienst von Klinikärzten ist Arbeitszeit. Er zählt auch als Zeit der Erwerbstätigkeit im Sinne des Elterngeldrechts und kann deshalb dazu führen, dass ein Arzt keine sog. Partnerschaftsbonus-Monate beim Elterngeld bekommt. Das hat das Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt entschieden.

Das war geschehen

Geklagt hatte eine Klinikärztin. Nach der Geburt ihres Kindes im Jahr 2016 hatte sie elf Monate das Basiselterngeld bezogen, ihr Ehemann anschließend drei weitere Monate. Danach arbeiteten beide in Teilzeit und nahmen die vier sog. Partnerschaftsbonus-Monate in Anspruch. Das setzte nach dem damaligen Recht voraus, dass beide Elternteile in diesen vier Monaten gleichzeitig im Monatsdurchschnitt nicht weniger als 25 und nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig waren. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Ärztin, wenn man ihre Bereitschaftsdienste in der Klinik vollständig mitzählte, in einigen Monaten mehr als 30 Stunden pro Woche gearbeitet hatte. Deshalb forderte die zuständige Behörde das für die vier Partnerschaftsbonus-Monate zunächst nur vorläufig gezahlte Elterngeld zurück.

Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit?

Dagegen klagte die Ärztin. Sie meinte, dass der Bereitschaftsdienst keine Erwerbstätigkeit im Sinne des Gesetzes sei. Sie müsse sich zwar in der Klinik aufhalten, könne die Zeit im Bereitschaftsdienstzimmer aber weitgehend frei nutzen. Wenn man nur die Zeiten zähle, in denen sie tatsächlich zum Einsatz gekommen sei, habe sie durchweg weniger als 30 Stunden pro Woche gearbeitet. Mit dieser Argumentation hatte sie in erster Instanz vor dem Sozialgericht (SG) Erfolg.

Zeiten des Bereitschaftsdienstes konsequent zu berücksichtigen

Auf die Berufung der Elterngeldstelle hat das LSG ihre Klage aber in einer jetzt veröffentlichten Entscheidung in zweiter Instanz abgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts ist der Bereitschaftsdienst vollständig als Zeit der Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, weil die Ärztin sich auf Weisung ihres Arbeitgebers in der Klinik aufhalten musste und weil dieser Dienst vergütet wurde. Ein weiterer Gesichtspunkt sei, dass die Ärztin sich während des Bereitschaftsdienstes gerade nicht um die Betreuung ihres Kindes kümmern konnte. Außerdem richte sich die Höhe des Elterngeldes nach dem Einkommen vor der Geburt. Hier wirke sich auch Einkommen aus Bereitschaftsdiensten positiv für den Elterngeldberechtigten aus. Dann sei es aber konsequent, solche Zeiten auch bei den Voraussetzungen der Partnerschaftsbonus-Monate zu berücksichtigen.

Quelle: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.12.2022, L 2 EG 3/21, PM 2/23

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Verfassungsgerichtshof (VGH) für das Land Baden-Württemberg hat entschieden: Der Betroffene in einem Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung hat einen Anspruch auf Einsicht in Wartungs- und Reparaturunterlagen des Geschwindigkeitsmessgeräts. Wird ihm dies verwehrt, liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor.

Das war geschehen

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, als Kraftfahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 44 km/h überschritten zu haben. Ihm wurde deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend durch Urteil des Amtsgerichts (AG) eine Geldbuße in Höhe von 160 Euro sowie ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt. Während des Bußgeldverfahrens begehrte der Beschwerdeführer die Übermittlung der Ermittlungsakte, der Rohmessdaten sowie der Lebensakte und der Wartungs-/Reparatur-/Eichnachweise des Messgeräts. Die Bußgeldbehörde stellte dem Beschwerdeführer die Ermittlungsakte sowie einige der gewünschten Rohmessdaten zur Verfügung. Eine Einsicht in die Lebensakte und in die Wartungs-/Reparatur-/Eichnachweise des Messgeräts erhielt er nicht.

Amtsgericht und Oberlandesgericht verneinten Anspruch auf Akteneinsicht

Das Amtsgericht lehnte den wiederholten Einsichtsantrag in die o.g. Unterlagen sowie den Antrag auf Übermittlung der 126 Einzelmessdaten mit der Begründung ab, dass die Beweiserhebung als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich anzusehen sei. Zudem bestehe kein Anspruch auf Beiziehung der Lebensakte sowie auf Bildung eines größeren Aktenbestandes, zumal eine Lebensakte nach den Angaben der Bußgeldbehörde nicht geführt werde. Das Oberlandesgericht (OLG) sah in der amtsgerichtlichen Entscheidung keine Rechtsfehler. Im Hinblick auf die Ablehnung der Beiziehung von Wartungs-, Instandsetzungs- und Eichnachweisen des Messgeräts habe der Messbeamte als Zeuge angegeben, dass keine eichrelevanten Störungen oder Defekte aufgetreten seien, sodass das AG im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nicht verpflichtet gewesen sei, beim Verwender des Messgeräts Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe anzufordern, zumal der Messbeamte solche auch verneint habe.

Verfassungsgerichtshof „kassierte“ Urteile

Der VGH: Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens aufgrund der unterbliebenen Einsichtsgewährung in die Wartungs- und Reparaturunterlagen rügt, zulässig und begründet. Das Urteil des AG sowie der Beschluss des OLG verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren, indem darin jeweils unter Annahme eines Gleichlaufs der gerichtlichen Aufklärungspflicht mit dem Einsichtsrecht des Betroffenen dessen Zugang zu den Wartungs-/Reparaturunterlagen des Messgeräts abgelehnt wurde.

Recht auf faires Verfahren

Wie das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festgestellt hat, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen. Im Rechtsstaat muss dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben werden, zur Wahrung seiner Rechte auf den Gang und das Ergebnis des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Dabei wendet sich das Gebot zur fairen Verfahrensgestaltung nicht nur an die Gerichte, sondern ist auch von allen anderen staatlichen Organen zu beachten, die auf den Gang eines Strafverfahrens Einfluss nehmen, demgemäß auch von der Exekutive, soweit sie sich rechtlich gehalten sieht, bestimmte Beweismittel nicht freizugeben. Ein rechtsstaatliches und faires Verfahren fordert daher „Waffengleichheit“ zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten andererseits. Der Beschuldigte hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte.

„Waffengleichheit“ für Beschuldigte gegenüber den Verfolgungsbehörden

Der Beschuldigte eines Strafverfahrens bzw. Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind. Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Betroffene kann so das Gericht, das von sich aus keine sachlich gebotene Veranlassung zur Beiziehung dieser Informationen sieht, auf dem Weg des Beweisantrags oder Beweisermittlungsantrags zur Heranziehung veranlassen.

Quelle: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.1.2023, 1 VB 38/18

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das Landgericht (LG) Frankfurt am Main hat entschieden: Betroffene können von Twitter verlangen, dass falsche oder ehrverletzende Tweets über sie gelöscht werden. Auch sinngemäße Kommentare mit identischem Äußerungskern muss Twitter entfernen, sobald das Unternehmen von der konkreten Persönlichkeitsrechtsverletzung Kenntnis erlangt.

Das war geschehen

Im September 2022 erschienen auf Twitter diverse Kommentare, in denen wahrheitswidrig behauptet wurde, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg habe „eine Nähe zur Pädophilie“ und er habe „einen Seitensprung gemacht“. Außerdem wurde über ihn verbreitet, er sei in „antisemitische Skandale“ verstrickt und „Teil eines antisemitischen Packs“.

Landgericht: Behauptungen ehrenrührig und unwahr

Das LG stellte in einem Eilverfahren fest, dass diese ehrenrührigen Behauptungen unwahr sind. Die Bezeichnung als Antisemit sei zwar zunächst eine Meinungsäußerung. Sie sei aber jedenfalls in dem gewählten Kontext rechtswidrig, denn sie trage nicht zur öffentlichen Meinungsbildung bei und ziele erkennbar darauf ab, in emotionalisierender Form Stimmung gegen den Antisemitismusbeauftragten zu machen.

Auch sinngleiche Kommentare sind untersagt

Nachdem der Antisemitismusbeauftragte die Entfernung dieser Kommentare verlangt hat, hätte Twitter ihre Verbreitung unverzüglich unterlassen und einstellen müssen. Darüber hinaus entschied das LG: „Das Unterlassungsgebot greift nicht nur dann, wenn eine Äußerung wortgleich wiederholt wird, sondern auch, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß erneut veröffentlicht werden.“ Und weiter: „Die Äußerungen werden nicht in jeglichem Kontext untersagt. Betroffen sind nur solche Kommentare, die als gleichwertig anzusehen sind und die trotz gewisser Abweichungen einen identischen Äußerungskern aufweisen.“

Kein allgemeines Monitoring, sondern konkrete Prüfpflicht seitens Twitter

Twitter werde damit auch keine allgemeine Monitoring-Pflicht im Hinblick auf seine rund 237 Mio. Nutzer auferlegt. Eine Prüfpflicht bestehe nämlich nur hinsichtlich der konkret beanstandeten Persönlichkeitsrechtsverletzung. Das deutsche Recht mutet jedem Verpflichteten eines Unterlassungsgebots zu, selbst festzustellen, ob in einer Abwandlung das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt und damit kerngleich ist. Twitter befindet sich damit in keiner anderen Situation, als wenn eine bestimmte Rechtsverletzung gemeldet wird. Auch in diesem Fall muss Twitter prüfen, ob diese Rechtsverletzung eine Löschung bedingt oder nicht, so das LG.

 

Über Fakten darf hingegen informiert werden

Als zulässig erachtete es indes die Äußerung eines Nutzers, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg sei in die jährlich vom Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles veröffentlichte Liste der größten Antisemiten weltweit aufgenommen worden. Unabhängig davon, ob die Aufnahme in diese Liste gerechtfertigt sei, dürfe darüber informiert werden. Dagegen müsse sich der Antisemitismusbeauftragte im öffentlichen Meinungskampf zur Wehr setzen.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann mit der Berufung zum Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main angefochten werden.

 

Quelle: LG Frankfurt am Main, 14.12.2022, 2-03 O 325/22, PM vom 14.12.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Das VG Trier hat eine Klage abgewiesen, festzustellen, dass für die Klägerin die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte (Ende des Schuljahres, in dem das 65. Lebensjahr vollendet wird) gelte.

 

Die Klägerin war in der Zeit von 1986 bis 2011 aktiv im Schuldienst des beklagten Landes als Realschullehrerin tätig. Nachdem sie im Jahr 2011 für schuldienstunfähig befunden wurde, erfolgte zur Vermeidung einer Versetzung in den Ruhestand die Versetzung in den Verwaltungsdienst. Im Jahr 2019 ersuchte die Klägerin das beklagte Land um Auskunft über das Datum ihres Ruhestandseintritts, welches sie selbst unter Anwendung der besonderen Altersgrenze für Lehrkräfte auf den Ablauf des 31. Juli 2025 datierte. Mit Bescheid vom Februar 2022 stellte das Land fest, dass die Klägerin durch ihre Versetzung in den Verwaltungsdienst dauerhaft aus dem Schulbereich aus- und in die Verwaltung eingegliedert worden sei, weshalb für sie die reguläre Altersgrenze gelte, die mit Ablauf des Monats Oktober 2026 erreicht sei.

 

Nach erfolglos durchlaufenem Widerspruchsverfahren hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, auch wenn sie seit ihrer Versetzung in den Verwaltungsdienst mit laufbahnfremden Aufgaben betraut sei, gelte sie weiterhin als Lehrkraft i. S. d. gesetzlichen Vorschrift. Sie habe trotz ihrer Versetzung nach wie vor das Statusamt einer Realschullehrerin inne, da ein Laufbahnwechsel nicht erfolgt sei. Eine tatsächliche oder aktive Beschäftigung als Lehrkraft sei nicht erforderlich. Dem ist das Land im Wesentlichen mit der Begründung entgegengetreten, aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift folge, dass die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte nicht an die Amtsbezeichnung, sondern an die konkrete Tätigkeit im Schuldienst anknüpfe.

 

Dem schloss sich das VG im Ergebnis an. Die Anwendbarkeit der Vorschrift über die besondere Altersgrenze setze nicht nur die Laufbahnzugehörigkeit, sondern auch eine laufbahnentsprechende Verwendung voraus, weshalb es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf das Innehaben des Statusamts ankomme, sondern auf das ausgeübte Amt, das dem Schuldienst zuzuordnen sein müsse. Anders als für die Regelaltersgrenze liege besonderen gesetzlichen Altersgrenzen für bestimmte Beamtengruppen – wie hier für Lehrkräfte – die generalisierende Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, dass die Dienstfähigkeit dieser Beamtinnen und Beamten typischerweise bereits vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze nicht mehr gegeben sei. Damit werde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Mitglieder der jeweiligen Beamtengruppen typischerweise besonders hohen Belastungen ausgesetzt seien, deren nachteilige Auswirkungen auf das Leistungsvermögen sich mit zunehmendem Alter verstärke.

 

Im Fall der Beamtengruppe der Lehrkräfte trete hinzu, dass mit der Anknüpfung an das Ende des Schuljahres den organisatorischen und pädagogischen Bedürfnissen der Arbeit an der Schule und den besonderen Umständen des Schulbetriebs Rechnung getragen werden solle. Da die Klägerin seit dem Jahr 2011 keine schuljahresbezogene Tätigkeit mehr ausübe und den besonderen Belastungen des Schulbetriebs nicht länger ausgesetzt sei, sei die Vorschrift über die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte für sie mithin nicht anzuwenden. Anders als die Klägerin meine, folge hieraus nicht, dass Entsprechendes dann auch für beurlaubte oder erkrankte Lehrkräfte gelten müsse, da diese – anders als die Klägerin – organisationsrechtlich noch dem Schuldienst zugeordnet seien.

 

Quelle: VG Trier, Urteil vom 16.8.2022, 7 K 1500/22.TR, PM 22/22