Verzögert sich ein Gerichtsverfahren, weil der zuständige Richter erkrankt, kann das eine Entschädigungspflicht des Staates begründen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) jetzt entschieden.

Der Staat schuldet Rechtsuchenden eine ausreichende personelle und sachliche Ausstattung der Justiz. Dazu gehören personelle Vorkehrungen für Erkrankungen des richterlichen Personals und andere übliche Ausfallzeiten. Diese müssen insbesondere eine wirksame Vertretung und, falls erforderlich, eine zügige Umverteilung der Geschäfte ermöglichen. Verzögert sich das Verfahren trotzdem wegen der Erkrankung des zuständigen Richters, können Betroffene Entschädigung verlangen, soweit deren sonstige Voraussetzungen vorliegen.

Das BSG hat dem Kläger deshalb weitere 300 Euro Entschädigung zugesprochen. Das Landessozialgericht (LSG) als Vorinstanz hatte drei Monate der krankheitsbedingten Verzögerung pauschal als Fall höherer Gewalt angesehen und insoweit eine Entschädigung abgelehnt. Aufgrund des von ihm erstrebten Revisionsurteils erhält der Kläger jetzt insgesamt 2.800 Euro Entschädigung.

Der Kläger hatte 4.700 Euro Entschädigung verlangt, weil sein Klageverfahren beim Sozialgericht (SG) Berlin gegen die Bundesagentur für Arbeit über den Erlass einer Darlehensschuld mehr als viereinhalb Jahre gedauert hatte. Die lange Verfahrensdauer beruhte u. a. auf erheblichen Krankheitszeiten des zunächst zuständigen Kammervorsitzenden.

Quelle: BSG, Urteil vom 24.3.2022, B 10 ÜG 2/20, PM 9/2022 vom 25.3.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Wenn ein Tattoo nicht mehr gefällt, kann es entweder mit einer Laserbehandlung entfernt oder mit einem neuen Tattoo überarbeitet („Cover-Up“) werden. Aber auch damit muss der Kunde nicht immer zufrieden sein. Das Landgericht (LG) Köln hat jetzt über einen Fall entschieden, in dem ein Kunde Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen der durch die angeblich mangelhafte Überarbeitung des alten Tattoos erlittenen materiellen und psychischen Schäden verlangt hatte.

Der Kläger wollte sich vom Beklagten sein bestehendes Tattoo, einen Pantherkopf, ein sog. „Tribal“ und Einzelbuchstaben, ändern und aufwerten lassen. Er wollte die Tätowierung grundsätzlich als Tribal behalten, es sollte aber durch zusätzliche Schattierungen einen 3D-Effekt erhalten und plastischer wirken. Dies sollte in mehreren Sitzungen erfolgen. Jede Sitzung sollte 300 Euro kosten. 600 Euro zahlte er bereits vorab. Doch der Kläger brach schon nach zwei Sitzungen ab und beendete die Behandlung beim Beklagten.

Anschließend ließ sich der Kläger bei einem anderen Tattoo-Studio eine Überarbeitung stechen, die ihm gefiel. Dafür zahlte er 3.750 Euro. Er behauptet, dass der Beklagte das Tribal nur mangelhaft überarbeitet und nicht verbessert habe. Er verlangt nicht nur die Rückzahlung des an den Beklagten gezahlten Vorschusses und die Zahlung der Überarbeitung, sondern auch Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 1.750 Euro wegen der erlittenen psychischen Probleme sowie die Feststellung, dass der Beklagte für alle zukünftigen Schäden einstehen müsse.

Das LG war schließlich nicht davon überzeugt, dass der Beklagte die vom Kläger mitgebrachte Vorlage originalgetreu übernehmen sollte. Der Beklagte habe darauf hingewiesen, dass sich die Vorlage nicht 1:1 übertragen lasse und die neue Tätowierung nicht genauso aussehen würde. Der Beklagte habe auch nicht fachlich mangelhaft gearbeitet. Durch das bereits bestehende Tattoo des Klägers sei es nicht möglich gewesen, das neue Tribal mit dem 3D Effekt aus der mitgebrachten Vorlage originalgetreu umzusetzen. Das Arbeiten ohne Schablone im sog. „Freestyle“ stelle nicht per se einen Mangel dar. Die verwendeten Farben hätten jedenfalls den EU-Richtlinien entsprochen. Der Kläger habe schließlich auch nicht plausibel machen können, dass hygienische Maßnahmen nicht eingehalten worden seien.

Das LG hat die Klage daher abgewiesen. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Quelle: LG Köln, Urteil vom 22.12.2021, 4 O 94/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass die Mieter der für eine Hochzeitsfeier gemieteten Räume die Miete vollständig zahlen mussten, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte.

Die Kläger, die am 11.12.2018 standesamtlich geheiratet hatten, mieteten bei der Beklagten Räume für eine am 1.5.2020 geplante Hochzeitsfeier mit ca. 70 Personen. Nach mündlichen Vertragsverhandlungen übersandte die Beklagte den Klägern eine auf den 5.4.2019 datierte Rechnung über die vereinbarte Miete von 2.600 Euro, die die Kläger beglichen. Die geplante Hochzeitsfeier „platzte“, weil aufgrund der damals gültigen nordrhein-westfälischen Coronaschutzverordnung Veranstaltungen sowie Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen untersagt worden waren. Am 23.3.2020 bot die Beklagte den Klägern unter Angabe von Alternativterminen an, die Hochzeitsfeier zu verschieben. Doch die Kläger baten rund einen Monat später, die geleistete Miete zurückzuzahlen. Sie erklärten gleichzeitig den Rücktritt vom Vertrag.

Das war der Verfahrensgang
Das Amtsgericht (AG) hat die auf Rückzahlung der vollen Miete gerichtete Klage abgewiesen. Die Kläger gingen in Berufung. Dort änderte das Landgericht (LG) das Urteil und verurteilte die Beklagte, an die Kläger (lediglich) 1.300 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wieder hergestellt. Die Anschlussrevision der Kläger hat er zurückgewiesen.

Die Argumente des BGH
Der BGH hat entschieden, dass die Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie nicht zu einer sog. Unmöglichkeit im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 326 Abs. 1, § 275 Abs. 1 BGB) geführt haben. Denn der Beklagten war es trotz des zum Zeitpunkt der geplanten Hochzeitsfeier in NRW geltenden Veranstaltungsverbots und der angeordneten Kontaktbeschränkungen nicht unmöglich, den Klägern den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. Ebenso zutreffend hat das LG eine Minderung der Miete abgelehnt. Durch die Coronaschutzverordnung wurde weder den Klägern die Nutzung der angemieteten Räume noch der Beklagten tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Coronaschutzverordnung, die die geplante Hochzeitsfeier untersagte, weiter für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Eine Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, stellt somit keinen Mangel der Mietsache dar, so der BGH.

Den Klägern steht im vorliegenden Einzelfall auch kein Anspruch wegen sog. Störung der Geschäftsgrundlage auf Anpassung des Mietvertrags dahingehend zu, dass sie von ihrer Pflicht, die vereinbarte Miete zu zahlen, vollständig oder teilweise befreit wären. Zwar kommt für den Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, ein solcher Anpassungsanspruch grundsätzlich in Betracht. Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter in diesen Fällen stets eine Anpassung der Miete verlangen kann. Ob ihm ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Die Anwendung der Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage führt nur ausnahmsweise zur völligen Beseitigung des Vertragsverhältnisses; in aller Regel ist der Vertrag nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten und lediglich in einer den berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragenden Form der veränderten Sachlage anzupassen. Nur, wenn dies nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen.

Ausweichtermine nicht akzeptiert
Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Anpassungsanspruch der Kläger auf die von der Beklagten angebotene Verlegung der Hochzeitsfeier, weil bereits dadurch eine interessengerechte Verteilung des Pandemie-Risikos bei einem möglichst geringen Eingriff in die ursprüngliche Regelung hergestellt werden kann. Die Beklagte hat den Klägern bereits im März 2020 viele Ausweichtermine angeboten, auch für das Jahr 2021. Den Klägern wäre zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine Verlegung der Hochzeitsfeier auch zumutbar gewesen. Sie hatten bereits im Dezember 2018 standesamtlich geheiratet und die Hochzeitsfeier stand daher nicht, wie regelmäßig, in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer standesamtlichen oder kirchlichen Trauung. Die Kläger haben auch keine anderen Gründe dafür vorgetragen, dass die Feier ausschließlich am 1.5.2020 und nicht auch zu einem späteren Termin hätte stattfinden können. Sollten sie inzwischen endgültig auf eine Hochzeitsfeier verzichten wollen, fiele diese Entscheidung allein in ihren Risikobereich und hätte daher auf die vorzunehmende Vertragsanpassung keine Auswirkung. Denn sie beträfe das allgemeine Verwendungsrisiko eines Mieters und stünde nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der pandemiebedingten Störung der Geschäftsgrundlage.

Quelle: BGH, Urteil vom 2.3.2022, XII ZR 36/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Die Beweislast für das Vorliegen einer großen Ankunftsverspätung trifft den Fluggast. Ist unsicher, ob die Ankunftsverspätung mindestens drei Stunden betragen hat, ist das Luftfahrtunternehmen gehalten, die ihm zur Verfügung stehenden Informationen mitzuteilen, die Rückschlüsse auf den maßgeblichen Zeitpunkt ermöglichen. So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH).

Danach enthält die Fluggastrechte-Verordnung (Fluggastrechte-VO) keine Bestimmung über die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Umfangs der Verspätung. Es gelte deshalb deutsches Beweisrecht. Allerdings muss das Luftfahrtunternehmen nicht im Rahmen der sog. sekundären Darlegungs- und Beweislast im Bordbuch oder an anderer Stelle den Zeitpunkt dokumentieren, an dem die erste Tür geöffnet und den Fluggästen der Ausstieg ermöglicht worden ist.

Quelle: BGH, Urteil vom 9.9.2021, X ZR 94/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Bucht ein im Erwerbsleben Stehender ein berufsbezogenes und -begleitendes Seminar, für das bereits im Vorfeld bestimmte Termine angegeben worden sind, muss der Seminaranbieter auch ohne ausdrücklichen Hinweis allein nach Maßgabe dieser Umstände davon ausgehen, dass die Einhaltung der angegebenen Termine für die Teilnehmer wesentlich ist. Er muss auch davon ausgehen, dass der Teilnehmer weder in der Lage noch auch nur bereit sein wird, an dem Seminar an beliebigen anderen Terminen teilzunehmen. So sieht es das Oberlandesgericht (OLG) Celle.

Der Veranstalter hatte Termine eines Fortbildungskurses mit fünf zwei- bis dreitägigen Präsenzveranstaltungen über sechs Monate verlegt. Die neuen Termine wurden einseitig vom Veranstalter festgesetzt und nicht mit den Teilnehmern abgesprochen. Den darauf von der Teilnehmerin erklärten Rücktritt wies er zurück. Zu Unrecht, wie das OLG – anders als noch das Landgericht (LG) – meinte.

Folge: Der Teilnehmer hat einen Anspruch auf Rückzahlung der Seminarvergütung, weil er vom Ausbildungsvertrag wirksam zurückgetreten ist. Es handelte sich um ein sog. „relatives Fixgeschäft“.

Quelle: OLG Celle, Urteil vom 18.11.2021, 11 U 66/21

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein behinderter Mensch kann nicht beanspruchen, dass der Grad der Behinderung (GdB) unabhängig von möglichen künftigen Veränderungen seines Gesundheitszustandes auf Dauer unveränderbar festgestellt und ein entsprechender Ausweis ausgestellt wird. Das hat jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg klargestellt.

Das war der Sachverhalt
Die 1960 geborene Klägerin ist an der rechten Brust (nach Geschwulstbeseitigung in Heilungsbewährung) erkrankt. Daneben bestehen bei ihr u.a. eine Depression, funktionelle Organbeschwerden, Bronchialasthma und ein Herzklappenfehler. Das beklagte Land Baden-Württemberg stellte zunächst einen GdB von 30 fest. Im nachfolgenden Klageverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach bei der Klägerin ein GdB von 60 seit Juni 2020 beträgt. Mit Ausführungsbescheid vom März 2021 stellte der Beklagte einen GdB von 60 seit dem 1.6.2020 fest. Er wies zugleich auf die zu beachtende Heilungsbewährung, eine mögliche Nachuntersuchung und eine mögliche Neufeststellung bei Stabilisierung des Gesundheitszustandes hin. Der beigefügte Schwerbehindertenausweis war mit dem Aufdruck „gültig bis 1/2026“ versehen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dem gerichtlichen Vergleich sei keine Befristung zu entnehmen. Voraussetzung für den Vergleichsschluss sei für sie gewesen, dass sie den GdB von 60 unbefristet erhalte. Der Schwerbehindertenausweis sei daher unbefristet auszustellen. Widerspruch und nachfolgende Klage vor dem Sozialgericht (SG) blieben erfolglos.

Landessozialgericht: Einschlägige Vorschrift sieht Befristung vor
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Das Land habe die in dem Vergleich getroffene Regelung vollständig umgesetzt. Eine Befristung sei im Ausführungsbescheid auch nicht durch die Ankündigung der Nachuntersuchung getroffen worden. Hierbei handele es sich lediglich um die Mitteilung einer beabsichtigten Maßnahme. Die Klägerin habe zudem keinen Anspruch auf unbefristete Ausstellung des Schwerbehindertenausweises. Denn nach der einschlägigen Vorschrift im Sozialgesetzbuch (§ 152 Abs. 5 S. 3 SGB IX) „soll“ die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises befristet werden. Aus dem Wort „soll“ folge, dass der Beklagte den Ausweis in der Regel befristen müsse, er jedoch in atypischen Fällen hiervon abweichen könne. Ein derartiger atypischer Fall liege hier nicht vor.

Vielmehr sei im Hinblick auf die für die Dauer von fünf Jahren nach Geschwulstbeseitigung abzuwartende Heilungsbewährung gerade mit einer möglichen Änderung der Verhältnisse zu rechnen. Der Schwerbehindertenausweis weise als öffentliche Urkunde auch lediglich die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach und habe keine eigene konstitutive Bedeutung für die in ihm aufgeführten Feststellungen. Die Befristung des Ausweises bezwecke, zu gegebener Zeit prüfen zu können, ob die im Ausweis dokumentierten Merkmale bzw. Nachteilsausgleiche noch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.

Dem habe der Beklagte mit der Befristung bis Januar 2026 ausreichend Rechnung getragen. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Feststellung des GdB sei der Klägerin dann zu gegebener Zeit ein neuer Schwerbehindertenausweis auszustellen.

Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.2.2022, L 8 SB 2527/21, PM vom 8.3.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein behördlich anerkannter schwerbehinderter Mensch hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten (statt wie im Regelfall: befristeten) Schwerbehindertenausweises, auch wenn eine Änderung in seinem Gesundheitszustand nicht zu erwarten ist. Das hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) in einem Berufungsverfahren entschieden.

Der Kläger, bei dem die Behörde mit Bescheid einen Grad der Behinderung von 100 festgestellt hatte, wandte sich dagegen, dass ihm nur ein auf fünf Jahre befristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden war. Er berief sich darauf, dass seine Gehörlosigkeit unumkehrbar sei. Die Behörde lehnte es unter Hinweis auf das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab, ihm einen unbefristeten Ausweis auszustellen. Dagegen zog der Kläger vor Gericht.

Vor dem Thüringer LSG blieb er ohne Erfolg. Das Gericht hat sich durch das Gesetz an einer anderen Entscheidung gehindert gesehen. Zwar besteht nach SGB IX (§ 152 Abs. 5) ein Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Anders verhält es sich hingegen bei der Frage, ob der Ausweis unbefristet erteilt wird. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung „soll“ die Gültigkeitsdauer des Ausweises befristet werden. Im Regelfall soll also ein befristeter Ausweis erteilt werden; ein unbefristeter Ausweis soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Ausnahme bleiben.

Ein solcher Fall liegt nicht schon dann vor, wenn eine Änderung im Gesundheitszustand des schwerbehinderten Menschen nicht zu erwarten ist. Auch beim Kläger lag im Hinblick auf seine Gehörlosigkeit kein Ausnahmefall vor, der es rechtfertigte, ihn gegenüber anderen schwerbehinderten Menschen zu privilegieren. Der Aufwand für die Beantragung eines neuen Ausweises ist in der Regel gering.

Wie das LSG bei der Urteilsverkündung betonte, hält es allerdings für unbedingt wünschenswert, dass eine einheitliche Verwaltungspraxis geübt wird. Der Kläger hatte vorgetragen, dass in vergleichbaren Fällen in anderen Landkreisen unbefristete Ausweise ausgestellt würden. Eine rechtlich einklagbare Verpflichtung folgte daraus jedoch nicht.

Quelle: Thüringer LSG, Urteil vom 14.10.2021, L 5 SB 1259/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Bausparkassen dürfen für die Kontoführung auch in der Ansparphase kein Entgelt verlangen. Das hat das Oberlandesgericht (OLG) Celle jetzt entschieden.

Eine Bausparkasse hat in ihren Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (Bausparbedingungen) eine Entgeltklausel vorgegeben, nach der für jedes Konto ein „Jahresentgelt“ von 12 Euro zu zahlen ist. Hiergegen wandte sich ein Verbraucherschutzverein und verlangte, diese Entgeltklausel nicht mehr zu verwenden.

Nachdem bereits das Landgericht (LG) Hannover dem klagenden Verein insoweit Recht gegeben hatte, hat das OLG Celle die von der Bausparkasse hiergegen eingelegte Berufung zurückgewiesen. Es widerspreche dem gesetzlichen Leitbild eines Bausparvertrags, ein Entgelt für die Kontoführung in der Ansparphase zu verlangen. In dieser Phase sei der Bausparkunde der Darlehensgeber, der nach der gesetzlichen Regelung kein Entgelt für die Hingabe des Darlehens schulde. Zudem verwalte die Bausparkasse die Bausparkonten im eigenen Interesse, weil sie die Einzahlungen sämtlicher Bausparer geordnet entgegennehmen und erfassen müsse. Der Bausparkunde erhalte durch diese Leistungen der Bausparkasse schließlich ebenso wenig wie die Gesamtheit aller Bausparer einen besonderen Vorteil, sondern nur das, was nach den vertraglichen Vereinbarungen und gesetzlichen Bestimmungen ohnehin erwartet werden dürfe.

Das OLG hat die Revision gegen diese Entscheidung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung zugelassen. Dass Kontoführungsgebühren in der Darlehensphase nicht wirksam durch Bausparbedingungen festgesetzt werden können, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits früher entschieden. Eine höchstrichterliche Klärung betreffend die Ansparphase steht bislang noch aus.

Quelle: OLG Celle, Urteil und PM vom 17.11.2021

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden: Verbraucher sind über das ihnen zustehende Widerrufsrecht zu informieren, wenn sie außerhalb von Geschäftsräumen einen Vertrag über die Lieferung und Montage eines Kurventreppenlifts abschließen, für den eine passende Laufschiene angefertigt und in das Treppenhaus des Kunden eingepasst werden muss.

Das war geschehen
Die Klägerin ist eine Verbraucherzentrale. Die Beklagte vertreibt Kurventreppenlifte. Dabei handelt es sich um Treppenlifte mit Schienen, die individuell an die im Treppenhaus zu befahrenden Kurven angepasst werden. Die Beklagte teilt Verbrauchern bezüglich der Kurventreppenlifte mit, dass – außer für ein bestimmtes Modell – kein gesetzliches Widerrufsrecht bestehe. Die Klägerin ist der Ansicht, dass ein Widerrufsrecht bestehe und sieht in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Sie nahm die Beklagte deshalb auf Unterlassung in Anspruch.

So sahen es die Vorinstanzen
Das Landgericht (LG) hatte die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht (OLG) hatte die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es hat angenommen, der Klägerin stehe kein Unterlassungsanspruch zu, weil im Streitfall kein Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehe.

Das entschied der Bundesgerichtshof
Der BGH hat auf die Revision der Klägerin das Urteil des OLG aufgehoben und die Beklagte dem Klageantrag entsprechend zur Unterlassung verurteilt. Die Werbung der Beklagten mit der Angabe, im Fall eines Kurventreppenlifts mit individuell geformten und an die Gegebenheiten vor Ort angepassten Laufschienen bestehe kein Widerrufsrecht des Verbrauchers, begründet eine Erstbegehungsgefahr für einen Verstoß gegen die Marktverhaltensregelungen. Sie musste über das bestehende Widerrufsrecht informieren.

Abgrenzung: unterschiedliche Vertragsarten
Das Widerrufsrecht des Verbrauchers ist im Streitfall entgegen der Ansicht des OLG nicht ausgeschlossen. Das wäre nur der Fall gewesen, wenn es sich vorliegend um einen Kaufvertrag oder einen Werklieferungsvertrag gehandelt hätte, nicht jedoch, wenn es sich um einen Dienstvertrag oder – jedenfalls im Regelfall – Werkvertrag gehandelt hat. Die Werbung im Streitfall ist auf den Abschluss eines Werkvertrags gerichtet. Folglich habe ein Widerrufsrecht bestanden.

Für die Abgrenzung von Kauf- und Werklieferungsverträgen einerseits und Werkverträgen andererseits kommt es darauf an, auf welcher der Leistungen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Schwerpunkt liegt. Im Streitfall liegt der Schwerpunkt des angestrebten Vertrags nicht auf der mit dem Warenumsatz verbundenen Übertragung von Eigentum und Besitz am zu liefernden Treppenlift, sondern auf der Herstellung eines funktionstauglichen Werks, das zu einem wesentlichen Teil in der Anfertigung einer passenden Laufschiene und ihrer Einpassung in das Treppenhaus des Kunden besteht. Auch der hierfür, an den individuellen Anforderungen des Bestellers ausgerichtete, erforderliche Aufwand spricht daher für das Vorliegen eines Werkvertrags. Bei der Bestellung eines Kurventreppenlifts, der durch eine individuell erstellte Laufschiene auf die Wohnverhältnisse des Kunden zugeschnitten wird, steht für den Kunden nicht die Übereignung, sondern der Einbau eines Treppenlifts als funktionsfähige Einheit im Vordergrund, für dessen Verwirklichung die Lieferung der Einzelteile einen zwar notwendigen, aber untergeordneten Zwischenschritt darstellt.

Quelle: BGH, Urteil vom 20.10.2021, I ZR 96/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ist im Reiseprospekt bei der Beschreibung einer Flugpauschalreise der Bahntransfer zum Flughafen ohne Hinweis auf ein zusätzliches Entgelt als „Vorteil“ aufgeführt, ist dies aus Kundensicht in der Regel dahingehend zu verstehen, dass es sich um eine vom Reiseunternehmen angebotene Leistung handelt, die vom genannten Pauschalpreis umfasst ist. So sieht es der Bundesgerichtshof (BGH).

Dies gelte, obwohl der Prospekt, dessen Angaben die Vertragsgrundlage bilden, den Bahntransfer nicht bei den Leistungen aufführt, die unter dem Stichwort „Inklusivleistungen“ genannt sind. Entscheidend sei hier, dass ein Bahntransfer 2. Klasse unter Nutzung des ICE als „Vorteil“ genannt sei. Der BGH: Die Formulierung „Ihr Vorteil“ lasse vor diesem Hintergrund nicht erkennen, dass es sich um eine Zusatzleistung handelt, die die Beklagte nur vermittelt. Eine Zusatzleistung ist typischerweise mit einem zusätzlichen Entgelt verbunden. Wenn das Reiseunternehmen einen „Vorteil“ benennt, der vom angebotenen Preis umfasst ist, liegt deshalb die Annahme nahe, dass es sich um einen Teil der angebotenen Leistung handelt.

Quelle: BGH, Urteil vom 29.6.2021, X ZR 29/20

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl