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Ein behinderter Mensch kann nicht beanspruchen, dass der Grad der Behinderung (GdB) unabhängig von möglichen künftigen Veränderungen seines Gesundheitszustandes auf Dauer unveränderbar festgestellt und ein entsprechender Ausweis ausgestellt wird. Das hat jetzt das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg klargestellt.

Das war der Sachverhalt
Die 1960 geborene Klägerin ist an der rechten Brust (nach Geschwulstbeseitigung in Heilungsbewährung) erkrankt. Daneben bestehen bei ihr u.a. eine Depression, funktionelle Organbeschwerden, Bronchialasthma und ein Herzklappenfehler. Das beklagte Land Baden-Württemberg stellte zunächst einen GdB von 30 fest. Im nachfolgenden Klageverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, wonach bei der Klägerin ein GdB von 60 seit Juni 2020 beträgt. Mit Ausführungsbescheid vom März 2021 stellte der Beklagte einen GdB von 60 seit dem 1.6.2020 fest. Er wies zugleich auf die zu beachtende Heilungsbewährung, eine mögliche Nachuntersuchung und eine mögliche Neufeststellung bei Stabilisierung des Gesundheitszustandes hin. Der beigefügte Schwerbehindertenausweis war mit dem Aufdruck „gültig bis 1/2026“ versehen.

Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, dem gerichtlichen Vergleich sei keine Befristung zu entnehmen. Voraussetzung für den Vergleichsschluss sei für sie gewesen, dass sie den GdB von 60 unbefristet erhalte. Der Schwerbehindertenausweis sei daher unbefristet auszustellen. Widerspruch und nachfolgende Klage vor dem Sozialgericht (SG) blieben erfolglos.

Landessozialgericht: Einschlägige Vorschrift sieht Befristung vor
Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Das Land habe die in dem Vergleich getroffene Regelung vollständig umgesetzt. Eine Befristung sei im Ausführungsbescheid auch nicht durch die Ankündigung der Nachuntersuchung getroffen worden. Hierbei handele es sich lediglich um die Mitteilung einer beabsichtigten Maßnahme. Die Klägerin habe zudem keinen Anspruch auf unbefristete Ausstellung des Schwerbehindertenausweises. Denn nach der einschlägigen Vorschrift im Sozialgesetzbuch (§ 152 Abs. 5 S. 3 SGB IX) „soll“ die Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises befristet werden. Aus dem Wort „soll“ folge, dass der Beklagte den Ausweis in der Regel befristen müsse, er jedoch in atypischen Fällen hiervon abweichen könne. Ein derartiger atypischer Fall liege hier nicht vor.

Vielmehr sei im Hinblick auf die für die Dauer von fünf Jahren nach Geschwulstbeseitigung abzuwartende Heilungsbewährung gerade mit einer möglichen Änderung der Verhältnisse zu rechnen. Der Schwerbehindertenausweis weise als öffentliche Urkunde auch lediglich die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach und habe keine eigene konstitutive Bedeutung für die in ihm aufgeführten Feststellungen. Die Befristung des Ausweises bezwecke, zu gegebener Zeit prüfen zu können, ob die im Ausweis dokumentierten Merkmale bzw. Nachteilsausgleiche noch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.

Dem habe der Beklagte mit der Befristung bis Januar 2026 ausreichend Rechnung getragen. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Feststellung des GdB sei der Klägerin dann zu gegebener Zeit ein neuer Schwerbehindertenausweis auszustellen.

Quelle: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.2.2022, L 8 SB 2527/21, PM vom 8.3.2022

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

Ein behördlich anerkannter schwerbehinderter Mensch hat keinen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten (statt wie im Regelfall: befristeten) Schwerbehindertenausweises, auch wenn eine Änderung in seinem Gesundheitszustand nicht zu erwarten ist. Das hat das Thüringer Landessozialgericht (LSG) in einem Berufungsverfahren entschieden.

Der Kläger, bei dem die Behörde mit Bescheid einen Grad der Behinderung von 100 festgestellt hatte, wandte sich dagegen, dass ihm nur ein auf fünf Jahre befristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden war. Er berief sich darauf, dass seine Gehörlosigkeit unumkehrbar sei. Die Behörde lehnte es unter Hinweis auf das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) ab, ihm einen unbefristeten Ausweis auszustellen. Dagegen zog der Kläger vor Gericht.

Vor dem Thüringer LSG blieb er ohne Erfolg. Das Gericht hat sich durch das Gesetz an einer anderen Entscheidung gehindert gesehen. Zwar besteht nach SGB IX (§ 152 Abs. 5) ein Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises. Anders verhält es sich hingegen bei der Frage, ob der Ausweis unbefristet erteilt wird. Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung „soll“ die Gültigkeitsdauer des Ausweises befristet werden. Im Regelfall soll also ein befristeter Ausweis erteilt werden; ein unbefristeter Ausweis soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Ausnahme bleiben.

Ein solcher Fall liegt nicht schon dann vor, wenn eine Änderung im Gesundheitszustand des schwerbehinderten Menschen nicht zu erwarten ist. Auch beim Kläger lag im Hinblick auf seine Gehörlosigkeit kein Ausnahmefall vor, der es rechtfertigte, ihn gegenüber anderen schwerbehinderten Menschen zu privilegieren. Der Aufwand für die Beantragung eines neuen Ausweises ist in der Regel gering.

Wie das LSG bei der Urteilsverkündung betonte, hält es allerdings für unbedingt wünschenswert, dass eine einheitliche Verwaltungspraxis geübt wird. Der Kläger hatte vorgetragen, dass in vergleichbaren Fällen in anderen Landkreisen unbefristete Ausweise ausgestellt würden. Eine rechtlich einklagbare Verpflichtung folgte daraus jedoch nicht.

Quelle: Thüringer LSG, Urteil vom 14.10.2021, L 5 SB 1259/19

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl